Frohkost
(Wilhelm Castun)

Frohkost oder Rohkost? Nun – roh sind diese Kabinettstückchen gewiß nicht. Meisterlich geformt und ausgeklügelt‚ hintergründig witzig und von subtiler Dialektik‚ ein großer Könner der spitzen Zunge und des reimenden Handwerks. Kaum ein Verslein‚ dem man das Lachen verweigert‚ kaum eine Pointe‚ die man nicht bewundert. Aber froh macht das Buch nicht. Als ganzes genossen ist es gewißlich keine Kost‚ um Frohsinn zu entwickeln.
Die Blödelei ist nur selten harmlos. Sie geht unter die Haut und sie hat auch etwas Bitteres. Ja Auswegloses. In dem Gedicht »Wer bin ich?« läßt der Autor sich einen Dichter fragen‚ ob er denn nicht vielleicht Goethe‚ Schiller‚ Lessing oder Herder sei? Diese Klassiker erscheinen eher zur Illustration‚ nur ein Reim verlangt nach ihnen. Dann tauchen Schopenhauer und Heine auf. Heines Loreley‚ natürlich ein Weib‚ belehrt den Dichter schließlich‚ daß er keiner von den Klassikern‚ sondern er selbst sei. Heine ist ja in dieser Klassikeraufzählung nicht ungewöhnlich‚ erst recht nicht bei einem Satiriker. Wohl aber Schopenhauer. Der kommt sonst in dieser Reihe nicht vor.
Im ganzen Buch ist nur ein Gedicht nach einer historischen Person betitelt: Arthur Schopenhauer. Dieser wird als Meister gepriesen. Die sonst allgegenwärtige Ironie ist hier in den fünf Strophen auf eine halbe begrenzt‚ auf den Reim »Beckenbauer«‚ der eben auch ein Meister sei. Ansonsten erfahren wir‚ daß Schopenhauer schlauer als Kant und Leibniz gewesen sei‚ als einziger das Leiden in der Welt erklärt habe‚ jeden Wahn von Wissen und Erwähltheit durchschaut habe und alle Suche nach Erkenntnis auf Dauer befriedige. Überhaupt erinnert mich das Büchlein an die »Aphorismen zur Lebensweisheit« des großen Danzigers. Die Dichter sind Wolkenschloßherren und Dauerposten im Terminkalender des Gerichtsvollziehers‚ die Männer Opfer ihres Geschlechtstriebes‚ die Ehe ein mittelalterliches Gruselkabinett‚ überhaupt besteht des Menschen Leidenschaft vor allem darin‚ andere über den Tisch zu ziehen oder sich für Erlittenes zu rächen. Die Lüste und Genüsse sind einfältig und die vorgeführte Gesellschaft ist so banal‚ das man ohne Reim gar nicht lachen könnte. Klug und einfallsreich schildert der Dichter die Schlingen des Teufels‚ aber sein Weltbild mit Neigung zu theologischen Themen kennt keinen Gott‚ der diesen Namen verdiente. Wo er auftaucht‚ ist er so ratlos wie der Dichter selber. Er hat die Welt zur Hölle gemacht und bietet nun dem Teufel das himmlische Halleluja zur Wohnung an. Hier wird Schopenhauer alle Ehre gemacht.
Das Buch bietet also keine Frohkost‚ sondern eine gnadenlose Tristesse. Aber‚ auch dies gemahnt an Schopenhauer‚ die schauerlichen Entlarvungen menschlicher Abgründe geraten zu Feuerwerken des Geistes. Eine solche Brillanz des Reimens und Komponierens habe ich schon lange nicht erlebt. Eine solche Genauigkeit des Blicks‚ eine solche Besessenheit von der äußersten Zuspitzung‚ eine solche Fülle der Mittel zur Orchestrierung des bitteren Sounds. Wer also nicht Moral in Verswerken sucht‚ sondern die Unerbittlichkeit der Nemesis‚ der greife in diesen Pralinenkasten allerbester Zutaten. Allerdings hüte er sich vor dem Übermaße! Herr Dr. Eisenbart‚ ein immer wieder auftretender Vergil auf dem Weg durch diese pitoreske Hölle‚ greift immer wieder‚ wenn er beispielsweise gerade die Menschheitstragödie erläutert hat‚ nach einem Krug Wein. Daran sollte sich der Leser ein Bespiel nehmen. Denn der Wein gehört zu den wenigen Dingen‚ die in diesen Versen niemals schlecht wegkommen.

Böll‚ Norbert: Frohkost. Ein Menü in fünf Gängen. Gedichte. Mit Illustrationen des Autors. 2010. 109 S. ISBN 978-3-926370-93-8 Arnshaugk Kt. 9‚95 €

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