Farben
(Wilhelm Castun)

Die Geschichte eines italienischen Sommers wird auf dem Einband als "Roman" verkauft‚ beim Titel auf Seite 3 ist davon keine Rede. Sie ist auch kein Roman‚ sondern eine etwas umfangreich geratene Künstlernovelle‚ die in Sujet und Fabel an manche Werke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnert. Drei Personen‚ die alle eng mit der schriftstellerischen Kunst verbunden sind: Ein greiser‚ fast blinder‚ Dichter mit großer Autorität und Ausstrahlung‚ dem die anderen die Farben beschreiben müssen und der dennoch letztlich mehr "sieht" als die anderen. Außerdem eine attraktive Frau in den Dreißern‚ die als Assistentin des großen Mannes dem eigenen Schaffen entsagt hat‚ und schließlich der Ich-Erzähler‚ ein Schriftsteller in einer Identitätskrise‚ der in der Sonne Italiens den Dichter trifft‚ dem er die schönsten Lesestunden seiner Jugend verdankt‚ und sich in dessen Assistentin verliebt. Im Buch wird viel davon gesprochen‚ wie Literatur sein sollte‚ wie man Landschaften und Stimmungen wahrnimmt und beschreibt‚ welche Stellung bestimmte Orte‚ etwa der Wald oder der Hafen‚ ich der dichtenden Seele einnehmen. An das bürgerliche Zeitalter erinnert auch der Umstand‚ daß keine der Personen irgendeinen Gedanken auf die Kosten des Müßigganges verschwendet. Man wohnt in einem Hotel von erlesenem Geschmack und zu den Kenner-Qualitäten eines Weins kommt allenfalls noch die inviduelle Bekömmlichkeit. Der Ich-Erzähler hat nach seinem erfolgreichen Debüts lauter Flops verfaßt‚ was den Verleger aber nicht verärgert‚ sondern veranlaßt‚ ihm einen Urlaub zu spendieren‚ damit er mit sich ins Reine komme. Das kann einem ja richtig Appetit auf den Schriftsteller-Beruf machen! Nur einmal mischt sich die häßliche Gegenwart in das Idyll‚ eine Wanderung in einen anderen Kurort führt zu Massen-Hotel-Anlagen und deren Begleiterscheinungen und so zu einer Verstimmung‚ die aber rasch beim Sonnenuntergang am Seeufer überwunden werden kann. Die drei Musenkinder sind sich im Grunde immer einig‚ ob es nun über den Wert von Autoren und Literatur oder um das klassische Gymnasium und die Irrwege der neueren Bildungspolitik geht‚ kein Windhauch stört das konservative Einvernehmen. Die Liebesgeschichte ist von höchster Rücksicht und Zartheit und endet mit bereitwilliger Entsagung‚ die Assistenten bleibt ihrem Idol über dessen Tod hinaus treu‚ sie widmet sich dem Nachlaß und dem Andenken des großen Dichters.
Der Ich-Erzähler überrascht‚ aus Italien heimgekehrt‚ seinen Verleger mit dem Entschluß‚ die Schriftstellerei an den Nagel zu hängen und wieder in seinem ursprünglichen Beruf‚ als Jurist‚ zu arbeiten. Um das Maß seiner olympischen Güte voll zu machen‚ bietet der Verleger dem gescheiterten Autor eine Stelle als Verlagsjurist an. Der Jüngere erbittet sich höflich Bedenkzeit und lehnt dann ab. Wie könne er denn die Literatur mit Honorarfragen‚ Titelschutz‚ Urheber- und Verwertungsrechten entweihen? Nicht‚ wenn man vorher Zeuge "jenes Wunders" geworden war‚ das man "Dichtung nennt"! Ich sagte bereits‚ daß es in diesem Werk keine Existenzsorgen gibt. So wird auch rasch eine Kanzlei für Familienrecht gefunden. Hier bald wieder die Öde empfindend‚ die ihn einst Schriftsteller werden ließ‚ gründet der Ich-Erzähler ein Literaturmagazin‚ das sich bald zu einem erfolgreichen Unternehmen mausert. Der Bogen zum Eingang schließt sich‚ als der hochverehrte Dichter kurz vor seinem Tod eine Elegie in der Zeitschrift veröffentlicht.
Wenn man in der Erzählung eine realistische Schilderung des deutschen Literaturbetriebes erwartet‚ wird man enttäuscht. Aber wurde solches irgendwo versprochen? Die Geschichte eines italienischen Sommers heißt es‚ und wenn wir den Titel ernstnehmen‚ fällt uns ein‚ daß ein "italienischer Sommer" geradezu ein Synonym für deutsche Träumerei ist. Aber die an Goethe gemahnende Selbsterkenntnis im helleren Licht des Südens führt nicht zur gesteigerten Selbstüberschätzung‚ wie bei jenen‚ die von Kuba heimkehrend den Unterleib als wahren Dichterfürsten preisen‚ sondern zur neidlosen Entsagung‚ die sich im Dienen äußert. Diese Parabel ist ein Antibuch zu den Prahlereien jener Zeititaliener‚ die sich neue Homere wähnen und meinen‚ sie dürften die Weinkosten dafür von der Steuer absetzen. Solange es noch das Bewußtsein für die Größe der Entsagung gibt‚ haben wir uns nicht aus dem Kreise der deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts exkommuniziert.
Leider hat das interessante Werk vermutlich gar keinen Lektor gefunden‚ und wenn‚ dann einen‚ dem unsere Literaturtradition nicht geläufig ist. Sonst wäre die Menge der Platitüden erheblich geringer‚ die das Lesen streckenweisen zur Tortur machen. Wo vom "Panorama der Landschaft" die Rede ist‚ klappe ich gewöhnlich ein Buch zu. Hier wimmelt es von Versatzstücken aus dem Medien-Kauderwelsch‚ die in einer Novelle nichts zu suchen haben. Überhaupt hätten sich Lesbarkeit und Spannung beträchtlich steigern lassen‚ wann manches vertieft und dafür anderes fortgelassen würde. Man muß ja nicht unbedingt mit Erzählrahmen‚ Rückblenden und anderen Tricks arbeiten‚ aber wenn jeder Tag und jede Mahlzeit etwa gleichviele Schriftzeichen in Anspruch nehmen‚ kann Langeweile nicht ausbleiben. Ein Volk mit einer großen Tradition ist eben auch verwöhnt.

Blietz‚ Guido: Farben. Die Geschichte eines italienischen Sommers. 2014. 244 S. ISBN 978-3-89688-513-5 Agenda Kt. 14‚80 €

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