Neun unerklärliche Welten
(Peter Gehrisch)

Wie der Verfasser‚ ein Wolf‚ vorbemerkt‚ läßt er sich inspirieren von einem neunschwänzigen Fuchs und bringt 34 satirische Trips zu Papier. Er folgt dem im Walde vernommenen altnordischen Seherspruch: »Neun Welten kenn ich / Neun Hölzer weiß ich ...« – und erschafft Resultate eines Um-sich-Blickens‚ die ihn – Zeitgenosse bizarr empfundener Realität‚ in der alles auseinander zu streben scheint – zum erstaunlichen Wahrbild gelangen läßt: »Endlich fliegen wir selber davon‚ lassen uns Federn wachsen und am Ende trifft uns die selbstverfaßte technische Welt«. (»Schwoben nach droben«) Ein närrisch fundierender Satz! Denn Federn‚ Schrift und Fortschritt bedingen einander.
Seine satirischen Texte leitet er jeweils mit einer gereimten Diatribe ein. Sie verlockt den Leser in ein gedrechseltes Denk-Spiel‚ das sich verwegen fortpflanzt in Gedanken-Assoziationen und -Kopulationen. Es sind Reimquartette‚ präzise trochäisch oder jambisch verfaßt in sarkastisch gehandhabtem Altväter-Stil. – »Der Brückenschlag ward uns zum Bilde / Nicht nur für Fluß und Sumpfgebilde‚ / Wo widrige Gefühle wallen‚ / Ists besser‚ nicht hereinzufallen.« – Der Pfad führt durchs Dickicht des Lebens bis an den Abgrund‚ über »Stegbrücken‚ Landebrücken‚ Landestege‚ Eselsbrücken‚ Holz-‚ Eisen- und Steinbrücken‚ Luftbrücken‚ Wortbrücken‚ Bockhirsch-brücken‚ Behelfsbrücken‚ notdürftig mit hölzernem Eisen befestigte Brücken«‚ und gipfelt im verblüffenden: »Bloß keinen Kredit!« Denn dieser ist Überbrückung für den Vermeßnen‚ einen‚ der »nicht zur Elite« gehört. (»Brücken«)
So geht es zu anderen Amüsements‚ die – gewißlich! –‚ aus Galle geschöpft‚ oft in brillanter Manier für Abwechslung sorgen wie im Beispiel gewisser Vertreter der Staatskunst: »Wer nur von der Tapete bis zur Wand denken kann ...‚ besitzt dennoch ein Anrecht auf Höflichkeit‚ dies gehört zur abendländischen Tradition. Die meisten Politiker‚ die so sind‚ werden wiedergewählt.« (»Besser für die Fische«)
Wolf ist ein couragierter Eulenspiegel. Er beherrscht die »törichte« Kunst‚ überraschende Weichen zu stellen und vom momentanen hinweg zum primären Thema zurück zu gelangen. Witz‚ Esprit‚ doppelter Wortsinn‚ ja‚ ganze Ideen-Gewitter scheinen ihn zu beflügeln. Er kennt sich aus in den Alumnaten der Sprache(n) nebst Nebengelassen‚ unterirdischen Gängen und Gags. Für das Stichwort Sekt beispielsweise findet er einen schrulligen Plural – Sekten – und setzt den Leser vergnüglich mit Sektierern ins Boot!
Der heute veränderten Ethik rückt er zu Leibe: »Moral hat inzwischen eine Alarmierfunktion übernommen. Dort‚ wo den herrschenden Medien bestimmte Gedanken nicht passen‚ wird Alarm geschlagen und es werden Ketzerprozesse im Stile des Mittelalters inszeniert.« (»Wie-dersehen«) Er begegnet einer einst Schönen und beklagt: »Die Rundung ward zu einem Kloß‚ / Der Fülle wich das Nette«‚ kommt auf »die Venus von Kilo« zu sprechen und erwähnt die Metamorphose des Geschmacks: »Rubensfrauen kommen wieder in Mode«. Er referiert über übermäßiges Essen und apostrophiert: »Kalorien haben ihren eigenen Wert: Na ja‚ sehen wir auch dies gelassen‚ und wie es so schön heißt: »Ma hat ma Glück‚ ma hat ma Pech‚ ma hat ma Ghandi.« (ebd.)
So beschreibt er die Welt(en)‚ registriert die Entwicklung‚ das Niedersinken und den Verfall‚ lotet hinab durch die Zeiten‚ den Kosmos‚ die Phantasie‚ geht ein auf historische Zeugen wie Euhemeros von Messene‚ Goethe‚ Leibniz‚ Montesquieu‚ Matt Taibbi‚ Mata Haari‚ Haarlekin‚ O'Haari ... Auf dem Bahnhof trifft er einen Prediger physikalischen Humbugs. »Alles dehnt sich aus und zieht sich gleichzeitig zusammen‚ kneift irgendwie‚ ist zu schmal bemessen und zeigt zugleich das Wesentliche und verdeckt es dabei doch.« Dem abstrusen Vortrag hält der Verfasser entgegen: »... die Gesetze der Physik sind eine Notverordnung ... (sie) sind nicht zwingend wahr‚ sie sind nur übrig geblieben.« (»Sehnsucht nach Zeichen«) Dem ist nun vollständig zuzustimmen. Es laufen genügend Spinner herum. Und sagt nicht ein altes Sprichwort: Je mehr Wölfe‚ desto weniger Schafe.

Wolf‚ Dieter: Neun unerklärliche Welten. Satirische Kolumnen. 2011. 178 S.‚ 34 Zeichn. ISBN 978-3-926370-81-5 Arnshaugk Gb. 18‚– €



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