Der Turmknopf
(Gisela Rein)

Eine schmales broschiertes Heft von 154 Seiten mit dem Titelfoto der Kirche des Ortes‚ 1958 aufgenommen‚ soll besprochen werden. Man vermutet ein reines Sachbuch über gefundene Dokumente bei einer Reparatur mit Vergoldung 2008‚ akribisch aufgelistet von Heidrun Kahlal‚ und findet sich zunächst bestätigt. Ein Blick zurück ist interessant genug‚ um zu belegen‚ woher wir kommen und wer wir sind‚ auch wenn junge Leute abwinken und alles‚ was vor ihrer Geburt war‚ mit den Gesten der bekannten drei Affen abtun: Nichts sehen‚ nichts hören‚ nichts sagen. Man braucht wohl ein gewisses Alter‚ um zur Erkenntnis zu kommen.
Es fanden sich Dokumente aus den Jahren 1832‚ 1869‚ 1878‚ 1905 und 1950. Laut den ältesten Schriften ging es unter Großherzog Carl Friedrich bescheiden und geruhsam zu. Es wütete weder eine Rebellion noch die asiatische Grippe. 37 Jahre später‚ unter Carl Alexander‚ waltete weiter Frieden‚ die Feldwirtschaft florierte‚ die Industrie kam in Neustadt auf‚ eine Eisenbahn sollte gebaut werden‚ 200 Kinder gingen zur Schule und statt Bienen wurden Tauben gezüchtet. Das Gold für den Knopf spendeten Bürger‚ weil man nach der Reichsgründung die Sozialisten bekämpfen mußte‚ denen Schuld beizumessen war‚ weil zweimal auf den mit Ruhm gekrönten Kaiser Wilhelm mit Mörderhand geschossen worden war.
Das Jahr 1905 ist aus unerfindlichen Gründen ausgespart worden‚ als Deutschland unter Bismarck mit französischen Goldfranken ungesunde Gründerjahre erlebt hatte‚ durch Schutzzölle die Betriebe kräftig belebt und Kolonien erobert wurden‚ eine Massenauswanderung nach Amerika nicht zu verhindern war‚ das Sozialistengesetz und eine Sozialversicherung eingeführt wurden. Weder die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs um 1900 war erwähnenswert‚ noch das taktlose Streben des chaotischen Wilhelm II. nach einem »Platz an der Sonne«‚ womit er sich die Westmächte zum Feind machte und schnurstracks auf den Weltkrieg zusteuerte. So viel Einsicht konnte in Reuß-Schleiz-Greiz-Lobenstein auch kaum erwartet werden. Dann wäre man im Orlagau schlauer gewesen als fast die gesamte Sozialdemokratie in Deutschland.
In der Sendung von 1950 wurde nach dem furchtbarsten Vernichtungskrieg darüber geklagt‚ daß Deutschland sich den Feindmächten ergeben mußte... und die Ostzone‚ zu welcher wir gehören‚ unter der Sowjetunion steht. Über die Ursache der Zustände fand sich kein Wort und die Gründung der DDR 1949 in Berlin hatte der reitende Bote mit seinem lahmenden Pferd noch nicht mitgeteilt. Um so mehr wurde vom Pfarrer über Lebensmittelkarten geklagt und darüber‚ daß keiner mehr in die Kirche kommen will. Trotz alledem konnten die Turmknöpfe in Handarbeit erneuert werden. Welch ein Wunder!
Im Jahre des Herrn 2008 ergänzte Pfarrer Dieter Wolf in dienstlicher Pflicht die alten Dokumente‚ ganz in der Tradition seiner vielen Vorgänger. Doch anschließend nimmt der selbe Geistliche ganz unfromm das Zeitungswesen unter die Lupe‚ beginnend von Cäsar bis heute‚ wo im Grundgesetz Artikel 5‚ 1.3 zu lesen ist: Eine Zensur findet nicht statt‚ das der Autor nur für den Schulunterricht und Sonntagsreden gelten läßt‚ weil Journalisten arbeitsrechtlich dem Tendenzparagraphen § 118 des Betriebsverfassungsgesetzes unterliegen‚ wo sie ohne den Betriebsrat zu verständigen entlassen werden können. Ein Skandal! Laut Manteltarifvertrag von 1951 dürfen Zeitungsverleger die Richtung vorschreiben‚ in der zu berichten ist. Auf der Liste der Reporter ohne Grenzen steht Deutschland in Sachen Pressefreiheit auf einer Stufe mit Jamaika und Benin. 1965 schrieb FAZ-Herausgeber Dr. Sethe: Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten‚ ihre Meinung zu verbreiten. Die Volksmassen sind politisch obdachlos. Das moderne Internet kann ohne Überprüfbarkeit bei Bedarf gesperrt werden. Selbst die Judikative ist machtlos. Demokratie pur!
Der Verfasser geht‚ einmal in Fahrt geraten‚ auf die Geschichte des Geldes ein und macht auf die Entwertung aufmerksam‚ die allein von 1980 bis 2009 in der heutigen Eurozone den Verlust von 89% ausmache. In den USA verzehnfachte sich die Geldmenge von 1971 bis 2008 bei nahezu gleicher Warenmenge. Durch die Inflation eignen sich Banken und Regierungen den größten Teil des Vermögens der Untertanen an. Der Staatsbankrott läßt soziale Sicherungssysteme zusammenbrechen. Das Gift der Inflation zerstört und führt letztlich zum Krieg. Für die Milliardenhilfen des Staates für »notleidende Banken« haftet der Steuerzahler.
Im weiteren listet der Verfasser die Schulden der Bundesrepublik auf: Von 10 Milld. 1950 auf 239 Milld. 1980‚ auf 1.692 Milld. 2009. Was folgt daraus? Bei einer zu erwartenden Währungsreform werden von den Spargeldern 10% übrig bleiben. 90% lösen sich in Luft auf‚ ähnlich wie es bereits den Gläubigen der Landeskirche Oldenburg erging‚ die zu Gläubigern wurden‚ als ihr Geld bei der Investmentbank Lehman Brothers verschwand. Zu diesem Thema hat der Rezensent das Gedicht »Staatszirkus« verfaßt‚ nachzulesen in »Lied vom Ackersmann«.
Die Finanzindustrie habe die Krise verursacht‚ doch die Politik hat sie ermöglicht und nicht verhindert. Ein Haftungsgesetz‚ wonach Aktionäre gegen Vorstände klagen könnten‚ sei in der Schublade verschwunden. Daß die Finanzindustrie mit der Politik mache‚ was sie will‚ sei unbestritten und zu kritisieren. Dies unterstreicht auch der Rezensent‚ wenn es um Finanzwetten geht und um Swaps‚ nach denen man gegen das Haus des Nachbarn‚ das man nicht besitzt‚ spekulieren könne. Zu unterscheiden ist dies aber vom normalen Aktienbesitz‚ den jeder erwerben kann‚ womit nachweislich durch Investitionen die Volkswirtschaft gestärkt wird‚ was leider viel zu wenig genutzt wird. Wie könnte es sonst sein‚ daß ca. 55% der Erträge deutscher Firmen an Ausländer gezahlt werden? Die Aktienkultur in Deutschland ist unterentwickelt. Den Rahm schöpfen Klügere ab. Soweit der Rezensent.
Die Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee soll den Einsatz in Kriegen um Rohstoffe sichern und sie soll bereit stehen‚ um mögliche Volksaufstände niederschlagen zu können‚ weil Berufsmilitärs wenig solidarisch mit dem Volk sind. Den demokratischen Effekt einer Wehrpflichtarmee lehrt uns gerade Ägypten‚ wo die Erhebung deshalb nahezu unblutig ablief‚ bestätigt hierzu der Rezensent. Die Vielzahl der Symptome listet der Verfasser weiter auf‚ sieht das Zerbrechen der EU und den Untergang der USA‚ denn wenn China keine US-Staatsanleihen mehr kauft‚ ist Washington am Ende. Es kann zum Bürgerkrieg kommen. Was die Rolle der Kirchen angeht‚ prophezeit der Autor‚ daß die islamische Bevölkerung in Deutschland bei 7% Wachstum 2050 in der Mehrheit sein wird‚ so daß die nächste Generation wohl in der Scharia leben muß. Sollte man nicht vorsorglich beginnen‚ seine Gliedmaßen zu versichern? Die Macht der Konzerne und Banken wird mit dem Feudalismus verglichen‚ wo die Macht in wenigen Händen konzentriert war und der Rest des Volkes zu parieren hatte. Geld regiert die Welt‚ die Justiz assistiert dabei. Es wird einen Zerfall geben müssen‚ doch danach wird es wieder von vorn losgehen‚ am besten ohne Globalisierung in der Besinnung auf die Region‚ in der wir leben‚ hoffentlich mit mehr Vernunft.
Die nächsten Jahre werden »unterhaltend« sein. Zynismus oder Galgenhumor?
Man könnte erschrecken angesichts des Menetekels. Für den Rezensenten sind sie keine Überraschung. Es bleibt zu hoffen‚ daß unbedarfte Leser den Weg zu den Neuigkeiten finden‚ die in diesem »Turmknopf« versteckt sind und daß sie wissender daraus hervorgehen und ihr Wissen auch in die Tat umsetzen.
Im folgenden Gedicht »Turmknopf der Kirche« beschwört Uwe Lammla die Kirche als Mitte‚ das Erbarmen als innigsten Traum‚ leises Gebet und Bitte durchloht er die Zeit wie den Raum.
In einem abschließenden Kapitel plädiert der Verfasser gegen die moderne Beliebigkeit ohne Symbole‚ gegen die Spaßgesellschaft‚ gegen Strukturzerstörung‚ gegen eine von der Globalisierung gekaufte Politik und er empfiehlt‚ alles zu tun‚ den geistigen Zerfall aufzuhalten‚ mit Traditionen und Mythen‚ Glaubensbekenntnissen und Kulturen‚ Ethnien und Grenzen‚ im Sinne eines Konservatismus‚ der sich an dem ausrichtet‚ was immer gilt.
Wenn es Einwände zum Buch gibt‚ dann die‚ daß es für interessierte Leser schwierig sein wird‚ elementare Wahrheiten ausgerechnet in einem harmlosen »Turmknopf« finden zu wollen. Ein Aufklärungsbuch über den Weg in die Katastrophe hätte ein deutlicheres Design gebraucht und ein wenig mehr Ordnung in den Ausführungen würde auch nicht schaden.

Wolf‚ Dieter/ Kahlal‚ Heidrun: Der Turmknopf der Kirche zu Neunhofen. 2010. 154 S.‚ 37 farb. u. 32 s/w. Abb. a. Taf. ISBN 978-3-926370-49-5 Arnshaugk Verlag Kt. 10‚– €

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