Gegen die Dunkelheit der Welt
(Eberhard Horst)

»Erinnerung ist ihre Gegenwart«‚ schrieb ein Gratulant zum fünfundsiebzigsten Geburtstag der Dichterin Oda Schaefer. Ihre Lebenserinnerungen‚ Auch wenn du träumst‚ gehen die Uhren (1970) und Die leuchtenden Feste über der Trauer (1977)‚ dokumentieren ein ungemein bewegtes‚ liebendes und geliebtes Leben‚ das sich tapfer »gegen die Dunkelheit der Welt« behauptete.
Manches Lebensdetail der von baltischen Eltern 1900 in Berlin Geborenen mutet uns heute legendär an. Schon früh geriet sie als junge talentierte Graphikerin in das literarische‚ künstlerische Milieu Berlins in den keineswegs goldenen zwanziger Jahren. Eine sensible‚ schöne‚ umschwärmte Erscheinung‚ eine »Elbische«‚ wie Friedo Lampe sie nannte. Sie heiratete 1923 den Zeichner Schaefer-Ast‚ dessen Namen sie beibehielt‚ und lernte Tucholsky‚ George Grosz und den Bildhauer Klimsch kennen. Aber erst nach dem Scheitern der ersten Ehe‚ nachdem sie 1930 in Liegnitz dem schlesischen Dichter Horst Lange begegnete und mit ihm zurückging nach Berlin‚ fand sie ganz zu sich.
»Wir hatten unser Leben von Anfang an auf das Abenteuerliche‚ Unerwartete‚ Improvisierte und Unbürgerliche eingestellt‚ und so würde es bleiben.« Es war an der Seite des geliebten Mannes ein immer gefährdetes Leben‚ ungesichert‚ ausgesetzt den Nöten der Zeit und der eigenen Leidenserfahrung‚ trotz mancher Aufschwünge und glückhafter Augenblicke. Untrennbar blieb Oda Schaefer dem Dichter der Schwarzen Weide und der Ulanenpatrouille verbunden.
In Berlin brachte Horst Lange‚ bereits Autor der sagenhaften »Rabenpresse« des V. O. Stomps‚ Oda Schaefer in den Kreis um Stomps. Mitautoren‚ vor allem Elisabeth Langgässer‚ Günter Eich‚ Peter Huchel‚ Werner Bergengruen‚ wurden zu Freunden‚ deren Rückhalt die Nazizeit und die Kriegsjahre überstehen half.
In den dreißiger Jahren‚ zuerst von V. O. Stomps gedruckt‚ fand die Lyrikerin den ihr gemäßen Ton. Ihre Gedichttitel Die Windharfe (1939)‚ Irdisches Geleit (1946). Grasmelodie (1959) und Der grüne Ton (1973) klingen fast programmatisch. Der letzte Titel erinnert an Wilhelm Lehmanns »grünen Gott«‚ an die Naturlyrik‚ in der im lyrischen Benennen von Flora und Fauna die geschichtslose Natur‚ das vegetabilische Zeugen‚ Wachsen und Vergehen zum Lied wurde. Aber die Verse erschöpfen sich nicht im genügsamen Andichten. sondern lassen die Beziehung zwischen Mensch und Natur erkennen‚ vorwiegend teilhabend oder aufgehend in der Natur‚ in »meinem verwandelten Grün«. »Schwindend erliegen« heißt es oder »den Träumen zur Beute« oder »ganz in Dunkelheit verloren«‚ wie Oda Schaefer selbst ihr Dichten aus dem »unverletzten Unbewußten« ableitet.
Ihre eigene Spielart der Naturpoesie‚ das melodisch Fließende‚ Sinnliche‚ die sublime Verschwisterung mit dem Elementaren kommt am sichtbarsten in den schwebenden abschließenden Versen des Gedichts »Die Verzauberte« zum Ausdruck:
                  Im Schilf‚ im Ried
                  Singt ein Vogel mein Lied‚
                  Liegt das Schwanenkleid
                  Meiner Flucht bereit.
                  Suche du mich!
                  Finde du mich!
                  Bis ich dir wiederkehr
                  So federleicht‚
                  Ist alles still und leer‚
                  Was mir noch gleicht.
Später‚ nach dem Krieg und schon mit Horst Lange nach München übergesiedelt‚ wird es heißen: »Ich kann die Wolke nicht mehr Wolke nennen.« Zeitgedichte entstehen‚ die von der »Panik des Tötens«‚ von den Trümmerstätten der Nachkriegsjahre sprechen und die sich »gegen die Dunkelheit der Welt« richten. Ein Übergang zur letzten Phase‚ in der das Sylphidische und Vegetabilische der frühen Gedichte zunehmend bis in die Wortwahl hinein härterem Material weicht‚ dem Stein‚ »Quarz und Metall«‚ »kristallischem Schwarz«. Statt »Verwandlung« heißt es nun »Übergang«. Wurde früher der »lauernde Verfall« beschworen‚ so konzentriert sich die lyrische Sprache nun in lapidarer Direktheit.
Die zuletzt entstandenen Gedichte sind dem 1971 gestorbenen Lebensgefährten Horst Lange gewidmet (»Um das Messer / Schließt sich die Wunde«)‚ oder sie geben der eigenen Betroffenheit unmittelbar Ausdruck‚ ohne Beiwerk‚ reduziert auf den reinen Befund. Welch ein Weg der Dichterin von ihren frühen Versen bis zu diesem späten Gedicht mit dem Titel »Übergang«:
                  Ich trete ein in das Alter
                  Unter die Brücken.
                  Kalt ist der Stein
                  Und leicht als Decke die Zeitung.
                  Nachts rauscht der Fluß
                  Lauter als tags
                  Schwärzliche Lethe.
                  Schon beugt sich der Rücken
                  Dem Stein entgegen.
Das Gedicht steht dem Genazzano-Gedicht der Marie Luise Kaschnitz nahe. Die Sprache »singt« nicht mehr‚ sondern zieht sich zusammen auf ein paar unverwechselbare Metaphern‚ die zugleich sehr realistisch den Zusammenhang herstellen: Brücken als letzter schützender Aufenthalt; die wärmende Zeitung; der Fluß‚ das vorüberrauschende Leben und mythischer Übergang (der Titel) ins Totenreich: der sich beugende Rücken‚ der Stein zuletzt. Dichter‚ lapidarer und gebundener als Gedicht läßt sich das Gemeinte kaum sagen. Kein Ausweichen‚ kein Klagen‚ doch das Bewußtwerden von ungestillter Trauer und Schmerz‚ eingeholt in Versen von unverrückbarer Festigkeit und Wahrheit.
Neben den Gedichten umfaßt das verhältnismäßig schmale Werk Oda Schaefers Erzählungen‚ gesammelt im Band Die Haut der Welt (1976)‚ Hörspiele‚ poetische Feuilletons und Essays. Auch die Prosastücke verleugnen nicht die Handschrift der genuinen Lyrikerin im sprachlichen Zuschnitt‚ in der bildhaften Fixierung des Augenblicks. Manche Erzählmomente erinnern an die sensible‚ impressionistische Schreibart des Dänen Jens Peer Jacobsen. Nicht die Aktion bestimmt die Handlungsabläufe‚ sondern die Auffaltung innerer Zustände‚ des Innenlebens der handelnden Personen‚ wobei sich Psyche und Natur vielfach widerspiegeln. »Das alles liest sich so leicht und wiegt so schwer«‚ schrieb der französische Germanist Robert Minder.
Einen angemessenen Erfolg brachten die Lebenserinnerungen‚ deren zweiter Band als letzte Veröffentlichung Oda Schaefers 1977 erschien. Die Erinnerungsbücher vermitteln ein Stück Zeitgeschichte‚ gebrochen durch die Erlebnisdichte‚ die außerordentliche Wachheit und Sensibilität der Dichterin‚ die mit diesem bewegten Jahrhundert aufwuchs. Mehr noch als die Fülle an Details‚ das ungewöhnliche Erinnerungsvermögen‚ gestützt durch zitierte Tagebuchnotizen Horst Langes‚ beeindruckt der unbedingte Zug zur Wahrhaftigkeit. Nichts wirkt beschönigt oder stilisiert in diesen uneitlen Erinnerungen. Das betrifft die einem solchen Buch ja auch mitgegebene Selbstdarstellung wie die Begegnung mit Literaten‚ Schauspielern‚ Freunden und deren Charakterisierung.
Bei einem Aufenthalt in der Schweiz‚ 1947 ein unschätzbares Geschenk‚ begegnet das Dichterpaar neben Agnes Fink und Bernhard Wicki‚ den Gastgebern‚ Zuckmayer‚ Max Frisch‚ Bergengruen‚ Helene Weigel und Brecht‚ »einem mageren Gargantua...‚ der immer gern aß und mit Genuß ein Seminar halten konnte über die verschiedenen Käsesorten Frankreichs«. Kein Detail entgeht den Augen der Autorin. In Brechts Arbeitszimmer entdeckt sie an der sonst kahlen Wand ein chinesisches Rollbild‚ das bei Arbeitsphasen entrollt wurde. Oder sie schreibt von Brecht: »Nie habe ich ihn offen lachen hören‚ wie Zuckmayer‚ der mit dem ganzen Körper zu lachen verstand.«
Der zweite Erinnerungsband gehört dem Andenken Horst Langes‚ der durch eine Kopfverletzung und den Verlust eines Auges‚ mehr noch durch eine nie geheilte seelische Verwundung zu den Geschlagenen des letzten Krieges zählte. Nicht nur als Bezugsperson ist Horst Lange stets gegenwärtig. Über das Informative hinaus summieren sich die Erinnerungen zu einer verhaltenen‚ erst im letzten Satz offen ausgesprochenen Liebeserklärung an den Gefährten und Dichter.
Oda Schaefers Erinnerungen‚ ohne jede Larmoyanz geschrieben‚ das Zeugnis einer empfindsamen‚ hellsichtigen‚ körperlich eher zarten und von den Gebrechen des Alters nicht verschonten Dichterin‚ sind zum Buch eines tapferen Bestehens und der Zuneigung geworden. Hier wie in ihren Dichtungen hat sie nicht weniger als ihr eigenes Leben eingebracht‚ ein Leben‚ das über den »schwarzen Fluß« den »Mut zur beständigen Liebe« trug.

Schaefer‚ Oda: Auch wenn du träumst‚ gehen die Uhren. Erinnerungen bis 1945. 2012. 342 S.‚ 1 Porträt. ISBN 978-3-926370-87-7 Arnshaugk Lw. 28‚– €
Schaefer‚ Oda: Die leuchtenden Feste über der Trauer. Erinnerungen aus der Nachkriegszeit. 2012. 175 S. ISBN 978-3-926370-88-4 Arnshaugk Lw. 28‚– €

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