Der Tod des Carl Schmitt
(Dieter Wolf)

Das Buch beinhaltet Aufsätze zum Werk von Carl Schmitt‚ dem für viele »unheimlichen Mephisto aus Plettenberg«. Über Carl Schmitt gibt es etwa vierhundert Bücher und inzwischen 2800 Aufsätze. Der Jurist Carl Schmitt pflegte durchaus Interessen außerhalb der Fachgrenzen der Jurisprudenz‚ er war zudem politischer Theoretiker‚ schöngeistiger Essayist‚ literarischer Parodist und Freund bedeutender Schriftsteller. Schmitt pflegte Kontakt zu den Schriftstellern Hugo Ball‚ Franz Blei‚ Theodor Däubler‚ Konrad Weiß‚ Ernst Jünger‚ Rolf Schroers u. v. m. Carl Schmitt ist zudem noch immer der bekannteste deutsche Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts. Als Jurist prägte er Be~griffe und Konzepte‚ die in den wissenschaftlichen‚ politischen und auch allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen sind‚ z. B. »Politische Theologie«‚ »dilatorischer Formelkompromiß«‚ »Freund / Feind- Unterscheidung« u. a. m. Im Durchschnitt einmal im Monat‚ errechnete ein Anhänger Schmitts‚ erschien in den vergangenen Jahrzehnten irgendwo auf der Welt ein Buch über oder im Geiste von Schmitt. Carl Schmitt war Außenseiter‚ wie Günter Maschke ein Außenseiter ist.
Der Schriftsteller und Publizist Günter Maschke wurde 1943 in Erfurt in Thüringen geboren. Er trat zunächst als linker politischer Aktivist in Westdeutschland hervor und wurde 1960 Mitglied der KPD. Später engagierte er sich im linken Milieu in Österreich‚ danach ging er nach Kuba und erhielt dort poli~ti~sches Asyl. Zwei Jahre hielt er es auf Kuba aus‚ sein Aufent~halt bewirkte eine politische Neuorientierung. Dies war Anlaß ge~nug‚ um ihn auszuweisen. Später war er als freier Mitarbei~ter der FAZ tätig. Unter anderem erschien in der Edition Suhrkamp der von Maschke übersetzte Gedichtband »Außerhalb des Spiels« von Heberto Padilla. Zu Heberto Padilla ist anzumerken‚ für seine Gedichtsammlung »Fuera del Juego« wurde ihm 1968 der höchste kubanische Literaturpreis verliehen. 1980 emigrierte er in die USA. Maschkes kenntnisreiche Studien fanden akade~mi~sche Anerkennung‚ führten aber immer wieder auch zu hoch emotional geführten Debatten‚ wenn er etwa über den syste~ma~ti~schen Betrug und Selbstbetrug in den modernen Massendemo~kra~tien schrieb‚ die moderne Travestie des »Gerechten Krieges«‚ welche die Gewaltanwendung entgrenzt anstatt sie zu begrenzen‚ währenddessen der Friedensnobelpreisträger per Fernbedienung den Drohnenkrieg steuert. Maschke schreibt: »Der vornehmste Imperativ des Intellektuellen kann nur lauten: Erkenne die Lage!« [S. 9]. Die Lage zu erkennen kann erhebliche Schwierig~kei~ten bereiten‚ und darüber zu reden noch viel größere. Conservare heißt ja im Grunde nur‚ das Lebendige in seinem Zusammenhang erhalten. Hierbei ist aber noch nichts darüber gesagt‚ welche politischen‚ sozialen‚ religiösen oder anderen Inhalte in der gegenwärtigen Epoche unverändert bleiben. Es geht also im Konservatismus vielmehr darum‚ in jedem Zeitalter ein spezifisches Verhältnis zum Wandel- und Unwandelbaren zu finden. Auf der Gegenseite ist es‚ wie es immer war‚ die Streiter gegen Ungerechtigkeiten schreiben ein ideelles Ziel auf ihre Fahnen‚ welches fast immer über Legitimität verfügt. Die Utopie muß zunächst nicht an der rauhen Wirklichkeit gemessen werden‚ denn Ideale lassen sich immer vertreten‚ auch bei ihrer Nichtumsetzung verlieren sie durchaus kaum etwas von ihrer Zustimmungsfähigkeit.
Der erste Aufsatz hat zum Thema: »Carl Schmitt in Europa. Bemerkungen zur internationalen Diskussion anläßlich seines Hingangs‚ 7. April 1985«. Das geistige Elend in Deutschland sieht Maschke in folgendem: »Das Gebot ‚Denke harmlos an das Harmlose!’ stützt sich auf den Befehl ‚Verfolge jeden‚ der Begriffe gebraucht‚ die zu gefährlichen Positionen führen können!’« [S. 23]. Denkt man an Schmitts Vorstellungen der Politischen Theologie‚ so dienten sie bekanntlich der philo~so~phi~schen Fundierung der Souveränität‚ und diese war für das Grundgesetz der Bundesrepublik‚ im Gegensatz zur tradi~tio~nel~len deutschen Staatsanschauung‚ gerade nicht zentral. Maschke ist der Auffassung: »Der Feind Schmitts ist der Nihilismus‚ als der Zustand‚ der dem Fortschritt des bloßen Funktionierens zugrunde liegt. Der Feind ist eine Welt‚ in der es nur noch Fabrik und Büro gibt. In diesem Sinne schließt sich der Kreis zwischen dem Früh- und dem Spätwerk Schmitts: dem Immerneuen‚ das das Immergleiche ist und das in der Moderne zu triumphieren scheint‚ gilt die ganze Ablehnung.« [S. 35]. Spanien ist zweifellos das Land der bedeutendsten Schmitt-Interpretation. Insofern schreibt Maschke: »Was Schmitt seinerseits den spanischen Klassikern des Völkerrechts‚ Baltasar de Ayala‚ Francisco de Vitoria‚ Francisco Suárez und Domingo de Soto verdankt‚ ist bekannt‚ ebenso wie der Einfluß von Donoso Cortés auf sein Werk. Kaum bekannt hingegen ist‚ wie stark der Einfluß der tacitistas‚ der spanischen Autoren der Staatsräson nach 1600 auf sein Werk war‚ – was bis zur praktisch wörtlichen Übernahme von Álamos de Barrientos’ Formel ‚lo político es la distinction entre amigo y enemigo’ geht. [Das Politische ist die Unterscheidung zwischen Freund und Feind. / D.W.]. [S. 76/77]. Allerdings ist diese These auch eine klassische Position im politischen Denken. Man denke an den Inder Kautilya‚ den Chinesen Han Fei‚ den Perser Nizamulmuk u. a. m. Raúl Morodo‚ ein Schüler des Sozialisten Enrique Tierno Galván‚ der trotz beträchtlicher politischer Diffe~ren~zen stets ein Freund Schmitts blieb‚ teilte die Ambiva~lenz seines Lehrers und bemerkt u. a.‚ daß Schmitt zwar einer der »luzidesten und ingeniösesten Intelligenzen« gewesen sei‚ aber »polemisch und zerstörerisch gegenüber der juridischen und politischen Kultur der Gegenwart«. [S. 106]. Maschke ist der Ansicht: »[…] – entgegen der These Galváns wie vieler Linker (etwa Jürgen Seifert) ist der Haupt-Feind Schmitts nie der Kom~munismus oder Sozialismus gewesen‚ sondern die entschei~dungs~lo~se Demokratie und ihre politische Dekadenz.« [S. 78]. Im Hinblick auf die Rezeption in Italien schreibt Maschke u. a.: »So empfindet Domenico Fisichella im katholisch-liberalen ‚Il Tempo’ (17. April 1985‚ ‚Carl Schmitt: la filosofia dell’autorità’) Schmitts Denken als eine ‚mirabile esage~ra~zione’ (‚wundersame Übersteigerung’) und eine ‚illuminante ma anche deviante esaspe~ra~zione’ (‚aufklärende‚ aber auch irregehende Erbitterung’). [S. 84].
Der zweite Aufsatz widmet sich der Thematik Habermas – Schmitt. Maschke schreibt: »[…] interessanter als das Denken von Habermas ist sein Erfolg. Sein Erfolg wie seine Wirk~lich~keitsferne‚ sich wechselseitig stützend‚ liegen darin‚ daß er der führende ‚organische Intellektuelle’ einer sich in den letzten Jahrzehnten herausbildenden Schicht ist‚ die zwar ständig an Umfang zunimmt‚ der aber keine wirkliche gesellschaftliche Funktion zukommt: der geisteswissenschaftlichen Intelligenz der heutigen Massenuniversität und des aus ihr sich rekrutierenden Personals der ‚Belehrung‚ Betreuung‚ Beplanung’. Da die politische Macht dieser Gruppe gering bleibt‚ strebt sie nach der Alleinherrschaft im Überbau‚ dessen Kontrolle sie zu ihrer Tröstung benötigt. Dort findet sie zwar keinen strategischen Hebel mehr um die Wirklichkeit zum Gedanken zu drängen‚ kann sich aber einer moralhypertrophen Überwachung des politischsozialen Geschehens hingeben. […]. Wie sehr auch die Verfechter dieses Konzepts behaupten‚ die moralisch-intel~lek~tu~elle Avantgarde zu sein‚ – sie verändern die Herrschafts~ver~hält~nisse nicht. Sei es‚ weil ihnen der konkrete Adressat fehlt‚ sei es‚ weil sie die Melodie der versteinerten Verhältnisse nicht kennen und diese folglich den Verhältnissen nicht vorpfeifen können‚ sei es schließlich‚ weil diese Gesellschaft immun wurde gegenüber der Idee.« [S. 110‚ 111]. Und über die Sicht von Habermas auf Schmitt schreibt Maschke: »Weil es Habermas um eine politische Warnung vor Schmitt zu tun ist‚ unterstellt er dessen Werk eine Klarheit und Eindeutigkeit‚ die es nicht besitzt. Die phos~pho~reszierende Ambiguität‚ ja‚ gelegentliche Konfusion Schmitts‚ kann der ‚Politiker’ Habermas nicht erfassen und daß darin auch Schmitts Stärke liegt – sein Werk ist wie der Abdruck der flüchtigen und irritierenden Wirklichkeit und zwingt so den Leser‚ sich dieser immer neu zu nähern – muß dem universalistischen Träumer unerkannt bleiben. Deshalb aber ist Habermas auch nicht fähig‚ Schmitt an dessen schwächster Stelle zu packen: an dessen Begriff von Souveränität.« [S. 123]. Und im Hinblick auf die Kritik am Parlamentarismus schreibt Maschke: »Gerade Habermas war sich einmal völlig bewußt‚ daß das Parlament ‚zu einer Stätte [wurde]‚ an der sich weisungs~ge~bun~dene Parteibeauftragte treffen‚ um bereits getroffene Ent~schei~dungen registrieren zu lassen’ und er war so frei hinzu~zu~fügen: ‚Ähnliches hat schon Carl Schmitt während der Weimarer Republik beobachtet.’« [Habermas‚ Zum Begriff der politischen Beteiligung (zuerst 1961)‚ abgedruckt in: ders.‚ Kultur und Kritik‚ Frankfurt am Main‚ 1973‚ S. 78].
Der dritte Aufsatz hat das Thema: »Drei Motive im Anti-Libe~ra~lismus Carl Schmitts«. Maschke schreibt: »Allen poli~ti~schen und politiktheoretischen Überlegungen Schmitts sind theologische über- und vorgeordnet. […]. Auf dem Grunde aller Politik stoßen wir stets auf die Theologie und dies keineswegs nur im Sinne einer Analogie. Schmitts Anti-Liberalismus liegt in seinem Katholizismus begründet und dieser speist sich aus drei Quellen: aus der gegenrevolutionären politischen Philosophie von Joseph de Maistre‚ Louis de Bonald und Juan Donoso Cortés; aus der anti-liberalen Polemik von Papst Pius IX. und dessen ‚Syllabus’ von 1864‚ der eine langdauernde Tradition begründete; schließ~lich aus dem französischen und deutschen Renouveau catholique nach der Jahrhundertwende.« [S. 156‚ 157]. Die Folgen des Liberalismus »kulminieren für Schmitt in der Auflösung der Welt in ein nihilistisches‚ pures Immer-weiter-voran‚ in ein Vertrauen auf Ökonomie und Technik‚ humanitäre Moral und Diskussion‚ mit denen man um eine klare politische und ethisch an~spruchs~volle Entscheidung herumkommen möchte‚ um schließlich in Chaos und Bürgerkrieg zu landen.« [S. 157‚ 158]. Schmitt schreibt in seiner Schrift »Der Begriff des Poli~ti~schen« [Ausg. 1963‚ S. 70f]: »So wird der politische Begriff des Kampfes im liberalen Denken auf der wirtschaftlichen Seite zur Konkurrenz‚ auf der andern ‚geistigen’ Seite zur Diskussion; an die Stelle einer klaren Unterscheidung der beiden verschiedenen Status ‚Krieg’ und ‚Frieden’ tritt die Dynamik ewiger Konkurrenz und ewiger Diskussion. Der Staat wird zur Gesellschaft‚ und zwar auf der einen‚ der ethisch-geistigen Seite zu einer ideologisch-huma~ni~tären Vorstellung von der ‚Menschheit’ auf der andern zur ökonomisch-technischen Einheit eines einheitlichen Produk~tions- und Verkehrssystems. Aus dem in der Situation des Kampfes gegebenen‚ völlig selbstverständlichen Willen‚ den Feind abzuwehren‚ wird ein rational-konstruiertes soziales Ideal oder Programm‚ eine Tendenz oder eine wirtschaftliche Kal~ku~la~tion. Aus dem politisch geeinten Volk wird auf der einen Seite ein kulturell interessiertes Publikum‚ auf der andern teils ein Be~triebs- und Arbeitspersonal‚ teils eine Masse von Konsu~men~ten. Aus Herrschaft und Macht wird an dem geistigen Pol Propa~ganda und Massensuggestion‚ an dem wirtschaftlichen Pol Kon~trolle.« [S. 172]. Maschke urteilt über Schmitt fol~gen~der~maßen: Schmitt »war vor allem Essayist und Publizist‚ und erst in zweiter oder dritter Linie Wissenschaftler.« Und er ergänzt: »Zumindest war er kein Vertreter der Wissenschaft im Sinne intersubjektiver Nachprüfbarkeit der vorgebrachten Thesen und wirkt auch heute oft mehr durch die Wucht der Suggestion als durch penible Argumentation.« [S. 173].
Zum Thema Krieg und Frieden ist folgendes anzumerken: Selbstverständlich ist der Frieden immer ein hohes Gut‚ wie sollte es auch anders sein. Maschke schreibt: Kriege sind nur »ein Instrument internationaler Politik‚ eo ipso gerecht. […]. Der Imperialismus führt keine nationalen Kriege‚ diese werden viel~mehr geächtet; er führt höchstens Kriege‚ die einer inter~na~tio~na~len Politik dienen; er führt keine ungerechten‚ nur gerechte Kriege; ja […] er führt überhaupt nicht Krieg‚ selbst wenn er mit bewaffneten Truppenmassen‚ Tanks und Panzerkreuzern das tut‚ was bei einem andern selbstverständlich Krieg wäre.« [S. 180].
Der letzte Aufsatz des Buches lautet: »Der ent-konkretisierte Carl Schmitt und die Besetzung der Rheinlande«. Maschke resümiert: »Die geistigen Anstrengungen Schmitts als ‚Theologe’‚ Kulturkritiker‚ Geschichtsphilosoph‚ Literat usw. verdanken sich seinem Dasein als Verfassungs- und Völkerrechtler und sind insofern von minderer Wichtigkeit‚ zunächst und vor allem war Schmitt Jurist und Politologe.« [S. 198].
Das Buch schließt ab mit einem Gespräch zwischen Sven Beier und Günter Maschke: »Die Lüge vom ewigen Krieg für ewigen Frieden«. Es geht hierbei um eine Bilanz über die Gegenwart. Es ist nicht überraschend‚ daß Kierkegaard zitiert wird: »Wer sich mit dem Zeitgeist vermählt‚ wird bald Witwer sein.«

Maschke‚ Günter: Der Tod des Carl Schmitt. 2. erw. Aufl. 2012. 224 S. ISBN 978-3-854181-461-0 Karolinger Kt. 22‚– €

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