Ausflug am Nachmittag
(Dieter Wolf)

Es war einer der letzten Tage im Monat März‚ ein Mittwoch‚ die Sonne schien‚ hin und wieder zeigten sich dunkle Wolken‚ als ob sich ein Gewitter ankündigen würde. Ich fuhr schon am Nachmittag nach Hause. Zuerst sah ich im Briefkasten nach‚ ich fand die Telefonrechnung und der Rest war Werbung. Nahrungsergänzungsmittel wurden angeboten‚ leistungsstarke Rasenmäher und Blumenzwiebeln‚ ein neues Autohaus hatte eröffnet‚ man pries eine Automarke an‚ die ich überhaupt nicht kannte. Von der Marke Zeta hatte ich noch nie etwas gehört. Die abgebildeten Autos gefielen mir‚ sie waren weiß und sahen aus‚ als wären sie aus Porzellan. Die Firma warb mit null Anzahlung‚ null Zinsen sowie einer monatlichen Zahlung von einhundert Euro über 46 Monate hinweg‚ dies klang verheißungsvoll. Mein Auto hatte inzwischen über 260.000 Kilometer zurückgelegt und vor einem Jahr hatte ich das Getriebe wechseln lassen müssen. Ich ahnte‚ irgendwann würde das Gefährt unter mir zusammenbrechen‚ die Roststellen ließen sich immer schwerer überdecken. Ich sah in meinem alten Wörterbuch unter Zeta nach. Ich fand lediglich den Begriff Zetä und von dort wurde auf den Begriff Zestä verwiesen‚ was soviel hieß wie »warme Dampfbäder«. Um eine rollende Sauna konnte es sich kaum handeln. Dann sah ich im Duden nach. Tatsächlich fand sich der Eintrag Zeta‚ dort stand: griechischer Buchstabe Z. Ich wollte ja nicht zetern‚ aber ein griechisches Modell war es hoffentlich nicht. Der Begriff Zetapotential ging mir durch den Kopf‚ diesen Begriff‚ so fiel mir ein‚ hatte ich irgendwo schon einmal gelesen. Dann fiel mir das Wort Zetanzahl ein‚ dabei handelte es sich um eine Maßzahl für die Zündwilligkeit eines Dieselkraftstoffes. Irgendwie war der Name Zeta merkwürdig. Zumindest im deutschen Alphabet stand der Buchstabe Z für Ende‚ es hieß ja nicht umsonst: »Von A bis Z.« Nichts sprach auf den ersten Blick dagegen‚ diesem neuen Autohaus‚ einer Tochter eines wie es im Prospekt hieß renommierten Autohauses aus Sangerhausen‚ einen Besuch abzustatten‚ zumindest was die Fotos der Modelle anbelangte. Lediglich das Wort Zeta störte mich. Ich konnte mir nicht vorstellen‚ was es bedeutete. Ich kochte mir Kaffee und aß etwas Gebäck. Zeta klang irgendwie östlich. Jemand aus meinem Bekanntenkreis fuhr ein Auto aus Rumänien‚ es war etwas spartanisch ausgestattet‚ aber es fuhr. Allerdings belächelte man den Wagenlenker‚ und alle schienen nur darauf zu warten‚ daß der Motor explodierte‚ was dieser aber nicht tat. Wer weiß wo der Zeta hergestellt wurde‚ möglicherweise gehörte das Lenkrad zu den Extras‚ irgendeinen Haken hatte die Angelegenheit sicher. Andererseits konnte ich mir kein teures Auto leisten‚ alles war teurer geworden. Man ging jeden Tag arbeiten und lebte am Ende von einem Taschengeld. Wozu sich einen Prestige-Wagen halten‚ wenn doch sowieso bald alles den Bach runterging? Ich schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr los. Die sechs Kilometer hin und zurück würden mir nicht schaden. Sicherheitshalber steckte ich meine Fahrerlaubnis ein und etwas Geld. Als ich am Autohaus ankam‚ war ich etwas überrascht. Von weitem hatte es so ausgesehen‚ als ob die Halle gut besucht sei‚ beim Näherkommen entdeckte ich‚ daß es sich um Schaufensterpuppen handelte. Ein einziger Mitarbeiter war zugegen. Er begrüßte mich freundlich und erklärte mir‚ wenn ich meine Hand auf die rechte Schulter einer solchen Puppe legen würde‚ so erklärte sie mir automatisch etwas zu den technischen Neuheiten. Erst jetzt entdeckte ich die verschiedenen Schaubilder‚ es ging um die Motoren‚ das Fahrwerk‚ die Ausstattung‚ die Fertigung‚ die Firmenphilosophie und so weiter. Er forderte mich auf‚ ich solle mich einfach zwanglos umschauen‚ und wenn ich am Ende dennoch Fragen hätte‚ er wäre in der Nähe. Ich legte also der ersten Puppe meine Hand auf die rechte Schulter‚ und sie begann zu reden‚ ich hätte eine großartige Entscheidung getroffen‚ Zeta-Modelle überzeugten inzwischen im gesamten Universum‚ das Preis-Leistungsverhältnis sei einzigartig‚ die Reparaturkosten auch nach vielen Millionen Jahren minimal‚ der Verbrauch kaum zu unterbieten. Es fiel mir schwer‚ ihr zuzuhören‚ ich überlegte‚ was geschehen wäre‚ wenn ich meine Hand nicht auf ihre Schulter‚ sondern irgendwo anders hin gelegt hätte. Ich konnte mir vorstellen‚ daß es hierfür eine Programmierung gab und nahm mir vor‚ es am Ende meiner Runde auszuprobieren. Ich trat zwei Schritte zur Seite und die Rede brach am Satzende ab. Danach folgte eine Schlußbemerkung: »Ich hoffe‚ Sie waren mit meinen Ausführungen zufrieden!« Im Raum waren über zwanzig Puppen und Schaubilder verteilt. Wenn ich mir alle Vorträge anhören wollte‚ dann war nicht nur der Nachmittag‚ sondern wahrscheinlich auch der Abend gelaufen. Ich mußte also eine Auswahl treffen. Ich entschied mich für das Preis-Leistungs-Verhältnis. Kaum hatte ich ihr die Hand auf die Schulter gelegt‚ begann sie nicht nur zu sprechen‚ sondern zwinkerte mir am Anfang auch noch zu. »In jedem Falle ist es eine sehr intelligente Entscheidung‚ sich für ein Zeta-Modell zu entscheiden‚ denn es ist zur Zeit unmöglich‚ ein preisgünstigeres Angebot zu bekommen mit diesen Leistungsmerkmalen‚ die wir Ihnen bieten. Erst in jenem Augenblick stellte ich fest‚ zu meiner großen Überraschung‚ in der Halle befanden sich gar keine Autos‚ wahrscheinlich waren sie in einem Nebengebäude untergebracht und hier war nur der Informationsraum. Ich beschloß‚ in die andere Halle hinüberzugehen und mir erst einmal die Modelle anzusehen. Ich dachte noch einmal über die Programmierung nach‚ sah mich um. Der einzige Mitarbeiter schien irgendwo anders zu sein‚ und so nutzte ich die Gelegenheit und legte meine Hand an eine Stelle‚ die ich hier nicht unbedingt näher bezeichnen möchte. Sie sprach ihren Satz zu Ende und dann sagte sie: »Gut‚ wenn Sie mich heiraten möchten‚ so ist dies eine hervorragende Entscheidung‚ bedenken Sie‚ der Wagen hat sechs Sitzplätze‚ sie könnten sich neben mir auch noch für vier meiner Freundinnen entscheiden‚ wählen Sie einfach unter vierundzwanzig Möglichkeiten aus‚ bestens empfehlen kann ich Ihnen die Sparte Fahrwerk!« Ich äußerte‚ ich müßte mir dies alles noch einmal reiflich überlegen‚ dankte für das Angebot und machte mich aus dem Staub. Ich wollte mir gar nicht ausmalen‚ welchen Eindruck es hinterlassen würde‚ wenn etwa an der Kreuzung neben mir der Wagen eines Bekannten oder Arbeitskollegen stünde und in meinem neuen Wagen säßen fünf dieser Grazien. Dies wäre möglicherweise Gesprächsstoff für die ganze Stadt und am Ende für die Lokalpresse. Ich fand eine Stahltür‚ die in die Nachbarhalle führte‚ und war froh sie hinter mir schließen zu können. Was ich jetzt sah übertraf meine Erwartungen deutlich. Die Abbildungen im Werbeprospekt blieben hinter der Wirklichkeit zurück‚ ich war einfach nur begeistert. Wahrscheinlich war es leicht‚ mir dies anzusehen‚ der Mitarbeiter kam auf mich zu‚ sagte: »Sirius.« Ich antwortete: »Servus«‚ und dann entgegnete er mir: »Ich hatte mich noch nicht vorgestellt.« Er war groß und schlank‚ allerdings wirkte er etwas blaß. Er trug eine dunkelblaue Anzugjacke‚ eine dunkelblaue Weste sowie Anzughose und eine weiße‚ schwarzgesprenkelte Krawatte‚ sie erinnerte mich an das Rauschen eines Monitors bei einer Bildstörung. Ohne weitere Umschweife begann er zu reden: »Hätten Sie nicht Lust zu einem kleinen Ausflug? Sie können sich ruhig Zeit lassen‚ ich bin auch nachtsüber hier.« »Warum nicht«‚ antwortete ich‚ »ich bin durchaus beeindruckt. Ehrlich gesagt‚ ich war es bereits‚ als ich das Prospekt in Händen hielt‚ aber jetzt bin ich fast begeistert‚ nein‚ natürlich bin ich begeistert. Ein erstklassiges Design‚ ich wundere mich nur‚ daß außer mir keine weiteren Interessenten hier sind!« Er nickte verständnisvoll: »Sie sind der einzige‚ dem unser Prospekt zugestellt wurde!« Dies überraschte mich natürlich. Ich war peinlich berührt‚ ich war möglicherweise der einzige in der Stadt‚ der einen Wagen mit einem Kilometerstand über 260 tausend fuhr. Vielleicht hatte jemand die Daten weitergegeben‚ heutzutage mußte man mit allem rechnen. Ich kam mir vor wie ein Aussätziger. Andere fuhren mit ihren Jahreswagen vor‚ wahrscheinlich erhielten sie ihre Prospekte zu einem anderen Zeitpunkt‚ an einem solchen Tag gab es Sekt und Häppchen‚ man scherzte und gab sich locker. »Steigen Sie ein«‚ forderte er mich auf‚ er ging zu einem der größeren Modelle‚ welches ich schon mehrmals von weitem betrachtet hatte. Er öffnete die Tür und gleichzeitig öffnete sich ein Rolltor der großen Halle. »Brauchen Sie eine Kopie meiner Fahrerlaubnis?« fragte ich. Er schüttelte mit dem Kopf: »Ich bin mir sicher‚ auf dieser Strecke wird Sie niemand anhalten.« »Was sind das eigentlich für Ausbuchtungen an den Seiten?« fragte ich. »Ausklappbare Flügel«‚ war die knappe Antwort. Entweder veralberte er mich oder es gab tatsächlich eine technische Neuerung‚ vielleicht zur Spurstabilisierung‚ die mir bislang gänzlich entgangen war. Vorsichtshalber stellte ich nun eine triviale Frage: »Welchen Treibstoff muß ich denn tanken‚ und wie hoch ist der Verbrauch?« »Der Verbrauch ist absolut unwesentlich‚ Sie tanken reines Wasser.« Langsam fing ich an‚ mich unwohl zu fühlen‚ ich wollte mir aber nichts anmerken lassen und nickte nur anerkennend mit dem Kopf‚ dann sagte ich: »Nicht schlecht‚ irgendwelche Angaben zur Geschwindigkeit?« »Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 5‚6 Millionen Kilometer pro Stunde. Eine Schwachstelle gibt es‚ verbrauchen Sie nicht so viel Sauerstoff beim Atmen. Also‚ Schlüssel rumdrehen‚ Gas rechts‚ Bremse links‚ viel Spaß!« Ohne weiter zu fragen drehte ich den Schlüssel um und tippte mit dem Fuß vorsichtig auf das Gaspedal. Lautlos rollte ich aus der Halle‚ ich fuhr zu der schnurgeraden Ausfahrtstraße‚ die zu jener Tageszeit wenig befahren war‚ trat das Gaspedal kräftig durch‚ sah‚ wie sich zwei Flügel ausbreiteten‚ dann hob ich ab und schoß in den Himmel. Im Weltall angekommen erfaßte mich so etwas wie Panik. Immerhin war dies eine Gegend‚ in der ich mich nicht auskannte. Hatte der Kerl sich nicht mit Sirius vorgestellt? Wahrscheinlich war dies die Gegend‚ in der er wohnte‚ in Sirius direkt zu wohnen war sicher zu heiß. Ich sah verschiedene Satelliten und jede Menge Trümmer‚ auf die ich zuraste. Instinktiv zog ich mein Handy hervor und versuchte das Autohaus anzurufen‚ die Rufnummer stand auf dem Prospekt‚ welches ich in der Jackentasche bei mir trug. Angstschweiß trat auf meine Stirn‚ mir fiel ein‚ ich hatte vergessen‚ mein Fahrrad abzuschließen. In atemberaubender Geschwindigkeit flog ich an den Trümmern vorbei‚ die wer weiß wer hier hinterlassen hatte. Die Erde und der Mond waren aus meinem Blickfeld entschwunden. In diesem Moment entdeckte ich‚ worin bei diesem Modell der Haken bestand. So wie es aussah‚ gab es kein Navigationsmenü. Wer täglich die gleiche Strecke durch die Milchstraße reiste hatte daran eventuell auch kein Interesse‚ aber ich war in keiner Weise darauf vorbereitet. Wahrscheinlich schoß ich inzwischen mit 5‚6 Millionen Kilometern pro Stunde durch das Weltall‚ und leider hatte ich keinerlei Ahnung‚ wie ich nach Hause zurückkehren konnte. Sicherlich würde man nach ein paar Tagen im Büro meinen Schreibtisch von einem Mitarbeiter des Schlüsseldienstes oder gar vom Hausmeister öffnen lassen und dann ein paar Dinge entdecken‚ na ja‚ ich wollte mir das gar nicht so genau vorstellen. Vier Flaschen Glenn Carlou 1989‚ eine Flasche Absinth und dann die über sechzig Fotos von Carla und fast alle ihre Briefe. Vor allem ein Brief war mir unangenehm in Erinnerung‚ wir hatten eine Autopanne und sie schrieb einige Tage später‚ sie würde mit mir in diesem Wagen nicht noch einmal mitfahren‚ unter keinen Umständen‚ ich solle mir einen anderen Wagen besorgen‚ ohne Rostflecken und Beulen‚ versteht sich‚ und mit funktionierender Heizung. Wahrscheinlich würden sie im Kollegenkreis stundenlang zusammensitzen und abwechselnd laut die Briefe vorlesen. So wie es aussah konnte ich ohnehin mit allem abschließen. Da hält man sich nun beim Essen und Trinken zurück‚ ist sparsam‚ ordentlich‚ und nun dies! Den Frühling hatte ich mir anders vorgestellt. Andererseits‚ so zurückhaltend war ich nun wiederum auch nicht gewesen‚ sparsam sowieso nicht‚ also was gab es noch zu verpassen? Den Frühling‚ den Sommer und den Herbst‚ ich mußte zurück! Endlich entdeckte ich eine Reihe silberner Knöpfe‚ auf einem stand »Terra«. Vorsichtig berührte ich den Knopf. Augenblicklich trat das Gefährt die Rückreise an‚ landete nach einer Ewigkeit auf der schnurgeraden Ausfahrtstraße und rollte ohne mein Zutun zurück in die Halle. Ich schaute auf die Uhr und stellte fest‚ eher angekommen zu sein‚ als ich weggefahren war. Sofort kam der Kerl aus der Gegend vom Sirius auf mich zu und fragte: »Ich hoffe‚ es war ein Vergnügen? Ungewöhnlicher Sonnensturm heute da draußen.« Ich zog meine Brieftasche heraus‚ kramte darin herum‚ hielt ihm einhundert Euro entgegen und sagte: »Gekauft.« »Lassen Sie nur«‚ entgegnete er‚ »die erste Rate haben wir gestern schon von ihrem Konto abgebucht‚ die Abbuchung erfolgt jeden Monat am gleichen Tag. Die Zulassung ist schon erledigt‚ die Nummernschilder liegen drüben auf meinem Schreibtisch‚ es dauert nur zwei Minuten bis die angebracht sind‚ ihr altes Auto nehmen wir in Zahlung‚ dies versteht sich von selbst. Vorausgesetzt‚ Sie sind einverstanden. Der Verkaufswert ist mit Sicherheit höher als der Erwerb unseres Neuwagens. Die Differenzsumme bekommen Sie nach sechs Monaten umgehend auf ihr Konto überwiesen. Es gibt Käufer‚ die reißen sich förmlich um alte Autos. Ich denke‚ Sie werden ein sehr gutes Geschäft dabei machen‚ Sie werden es nicht bereuen!« Ich bedankte mich und fuhr nach Hause mit dem neuen Wagen. Unterwegs begegnete mir ein Abschleppwagen mit meinem alten Auto. Der Fahrer winkte mir zu und hielt an. Er stieg aus und kam auf die andere Straßenseite. »Haben Sie noch irgendwelche persönlichen Sachen in ihrem alten Wagen?« Ich bejahte‚ öffnete das alte Auto und zog aus dem Handschuhfach einen zehn Jahre alten Atlas heraus. Schon lange gab es neue Umgehungsstraßen‚ neue Autobahnen‚ sogar ganze Straßenverlegungen‚ kurz und gut‚ der Atlas war überhaupt nicht mehr brauchbar‚ aber ich wollte abends am Kamin sitzen und nachschauen‚ wo ich früher einmal lang gefahren war. Dann gab ich ihm den Schlüssel von dem alten Wagen. Ich blieb stehen‚ bis er fortgefahren war. Das alte Auto war auf unerklärliche Weise entschwunden. Neues wartete nun auf mich. Ich nahm mir allerdings vor‚ mit Carla nicht allzu schnell zu fahren und auf keinen Fall mit ihr zu fliegen. Höchstens im Notfall. Denn ein richtiger Mann mußte in bestimmten Situationen immer noch ein As im Ärmel haben. Und wenn wir einmal länger wegfliegen würden‚ dann kämen wir um so früher zurück‚ und dann war der alte Atlas natürlich Gold wert.

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