Fortschritte auf dem Holzweg
(Claus Irmscher)

Was zunächst auffällt‚ ist der vielsagende Titel. Auf dem Holzweg sein heißt übertragen im Irrtum sein‚ hier nicht als Zustand‚ sondern im Verlauf eines Weges‚ genauer: eines Lebens‚ wenn es Erinnerungen sind‚ üblicherweise Memoiren genannt. Wer gibt Irrtümer von vornherein lauthals zu? Zugleich könnte der Titel direkt verstanden werden‚ als Weg eines Holzfällers‚ vielleicht eines Försters. Bei beiden Deutungen werden Fortschritte angekündigt. Um welche handelt es sich? Der Ausdruck Hinterwäldler‚ ebenfalls doppeldeutig‚ macht das Rätsel komplett. So viel Zurücknahme ist ungewöhnlich und macht neugierig.
Die Lektüre klärt auf. Es handelt sich um das Leben eines bescheidenen Mannes‚ der direkt aus dem Wald kam‚ aus Schmiedefeld am Südhang des Thüringer Waldes‚ und der den Zugang in die hehren Gefilde der modernen Medienlandschaft gefunden hat und hier‚ gestalterisch im Fernsehen wirkend‚ Bleibendes schuf. Er tat dies nicht im Rampenlicht‚ sondern bescheiden im Hintergrund‚ eben als Hinterwäldler‚ unauffällig‚ zurückhaltend‚ fast schüchtern‚ der sich sobald er das Wort ergriff‚ ruhig und bedächtig‚ in wohlgesetzten Worten ausdrückte‚ wie der Intendant des MDR‚ Udo Reiter‚ es ausdrückt. Albrecht Börners Sache war und ist das geschriebene Wort‚ das jeder sprachlichen Wiedergabe zugrunde liegt und dessen Schöpfer doch der Öffentlichkeit meist unbekannt bleibt. Wer achtet schon auf den Gestalter der Fabel eines Dramatikers‚ Dramaturg genannt‚ auf das Personal eines Abspanns oder‚ im besten Fall‚ den Dramatiker selbst von einem Film?
An einem kalten Februartag 1929 geboren‚ prägte ihn das karge Dasein einer Familie‚ deren Vater sich als Tischler und Zimmerer in einer Schneidemühle durchschlug und deren Mutter aus den wenigen Einkünften das Beste machte. Als Zehnjähriger dem Jungvolk angehörig‚ verhalfen ihm kritische Lehrer und die Liebe zu Büchern zu gewisser Distanz zum System‚ was ihn nicht hinderte‚ Offizier werden zu wollen. Doch die letzte Reserve kam im letzten Kriegsjahr zu seinem Glück nicht mehr zum Einsatz‚ die Kapitulation gestaltete sich als Posse‚ erste Zweifel seines Disziplinverständnisses kamen auf‚ etwas Englisch half ihm zu privilegierter Stellung. Die Rückkehr in den Heimatort wurde zur Sinnkrise‚ vor einer Deportation bewahrte ihn seine Jugend und das Glück. Die Not zwang ihn auf den »Holzweg« im Forst. Als ihm der Bildungsweg ermöglicht wurde‚ erst mit dem Abitur‚ danach dem Studium der Germanistik in Jena‚ nutzte er ihn‚ ließ sich jedoch nicht mit der SED ein‚ sondern trat der NDPD bei. Seine Dissertation über den utopischen Roman im 20. Jahr-hundert wurde von Franz Fühmann befürwortet. Beim Studium der Philosophie des Marxismus bei Georg Klaus erkannte er bald die Diskrepanz zwischen der Sozialutopie und der sozialistischen Realität als Machtfrage derer‚ die einmal etabliert‚ alles andere dominieren. Folgerichtig beschäftigte sich seine Diplomarbeit mit dem Toleranzbegriff bei John Locke‚ was eine weitere akademische Laufbahn ausschloß.
Er bewarb sich als Lektor beim Verlag der Nation bei Günter Hofé‚ wurde angenommen und durfte Rudolf Petershagen‚ dem Retter von Greifswald‚ zum Erfolg seines Buches »Gewissen in Aufruhr« verhelfen. Er arbeitete ebenso dem Diplomaten Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz im Erinnerungsbuch »Unterwegs nach Deutschland« zu. Es folgten eine Vielzahl von Begegnungen mit Autoren‚ deren Editionen er begleitete‚ ob es der Kubaner Lisandro Otero war‚ Walther Victor‚ W. K. Schweikert und viele anderen. Mit dem Fotografen Ernst Schäfer brachte er elf Bild-Text-Bände heraus. Mit Manfred von Brauchitsch‚ umgesiedelt vom Starnberger See nach Gräfenwarth an der Bleilochtalsperre‚ gab es zunächst über dessen Autobiographie »Ohne Kampf kein Sieg« Diskrepanzen‚ danach gutes Einvernehmen. Der Zufall und alte Kontakte eröffneten Albrecht Börner den Weg zum Fernsehen‚ wobei ihm der Abschied vom Verlag nicht leicht fiel. Das neue Medium bedurfte neuer Studien
Nach ersten Drehbüchern zu Aktionsfilmen erzielte er Erfolge mit Adaptionen von Kurzgeschichten »Erlesenes«‚ dann »Die große Reise der Agathe Schweigert« von Anna Seghers‚ »Die Brüder Lautensack« von Lion Feuchtwanger mit Regisseur H.-J. Kasprzik‚ die schließlich zu seinem größten Erfolg führte‚ dem Mehrteiler »Sachsens Glanz und Preußens Gloria«‚ in dem Rolf Hoppe den starken August spielte‚ Gunter Schoß und Arno Wysznewski und andere mitspielten.
Die Wende brachte dem erfolgreichen Dramaturgen zunächst die Kündigung‚ weil Adlershof durch einen Herrn Mühlfenzel schlicht aufgelöst wurde‚ was die frohe Botschaft der Wiedervereinigung für den Sechzigjährigen mit Bitternis erfüllte. Bei einem Intermezzo im Jenaer »Wochenspiegel« durfte er die Arroganz eines unfähigen Chefs aus dem Westen erleben‚ so daß er es vorzog‚ lieber von Arbeitslosengeld bis zur Altersrente zu leben. Da er aber bereits in den Beirat zum Aufbau des MDR‚ dessen Konzept Kurt Biedenkopf durchsetzte‚ gewählt war und mit Udo Reiter ein Intendant bereit stand‚ ergab sich eine neue Perspektive. So hatte er bald vierzig Sendungen pro Monat zu bewerten und dafür zu sorgen‚ daß die Schaubühne als moralische Anstalt Schillers und die Aufklärung aus »selbstverschuldeter Unmündigkeit« Kants bei allem Werbebetrieb der Wirtschaft zu ihrem Recht kamen. Es herrschte oft genug der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirkung‚ auch wenn RTL-Boss Thoma tröstete‚ daß im Seichten noch niemand ertrunken wäre. Schließlich wurde er zum Vorsitzenden des Rundfunkrates gewählt. Es entspann sich ein ständiger Kampf gegen Tendenzen der Gewinnorientierung der Privatunternehmen. Als Albrecht Börner 1997 seinen Abschied nahm‚ bedauerte er‚ nicht weiter im Rundfunkrat tätig sein zu können‚ doch der Thüringer Landtag hatte anders entschieden.
Pläne‚ die »Jüdin von Toledo« von Feuchtwanger und »Goethe und Christiane« zu realisieren‚ scheiterten an Animositäten anderer Beteiligter‚ besonders von Egon Günther‚ während Klaus Jentzsch‚ der Präsident des FDA‚ seine Filmerzählung »Morgenröte färbte ihre Wangen«‚ dem Film gegenüber vorzog. Durch seine Tätigkeit im Kuratorium zur Geschichte Mitteldeutschlands relativierte sich sein Kummer‚ zumal er durch eine kleine Erbschaft ein Stück Wald erbte‚ wodurch er wieder auf den Holzweg seiner Jugend geriet. »Der Holzweg ist mein Schicksal!«‚ resümierte er sarkastisch. Doch einigen Trost verschafft ihm der Kontakt zum Freien Deutschen Autorenverband‚ den ihm Hans-Dietrich Lindstedt vermittelt und zweimal zum Vorsitz begleitet hat und in dem der Rezensent das Erbe weiterzuführen versucht.
Das Fazit eines Lebens lautet für Albrecht Börner‚ der mit großer Energie die Folgen eines Schlaganfalls verkraften muß‚ daß Holzwege gangbar sind und zu einem Ende führen‚ das kein Ziel sein muß.
Der Rezensent möchte dem nichts hinzufügen.

Börner‚ Albrecht: Fortschritte auf dem Holzweg. Erinnerungen eines Hinterwäldlers. 2009. 288 S. ISBN 978-3-940200-24-2 Noteingang Verlag Gb. 19‚90 €

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