Tilia poetica
(Wolfgang Schühly)

»Tilia oder dilia haizt ain lind. der paum ist gar bekannt pei uns und ist gar lüftiger art. dar umb ist sein holz gar leiht. des paums plüet habent vil honigs und wahses und dar umb sitzend die peinen dar ab samnet‚ wan kainerlai ander honig. ez ist auch des paums schat den menschen ziemlicher wan ander paum schat.«
So schreibt Konrad von Megenberg im Spätmittelalter über den Lindenbaum. In dieser kurzen Passage preist Konrad bereits drei wichtige Aspekte des Lindenbaumes: Die Leichtigkeit und vielseitige Verwendbarkeit des Lindenholzes (insbesondere gehört hierzu die Verwendung des Lindenbasts)‚ den Nektarreichtum der Blüten‚ der köstlichen Honig liefert und die Besonderheit des Lindenschattens‚ mit anderen Worten die Aufenthaltsgunst‚ die der Baum dem unter ihm Weilenden erweist. Sehen wir uns diese Aspekte noch einmal genauer an‚ so befaßt sich der erste eher nüchtern mit dem Holzwert dieser Pflanzenart‚ der zweite verweist auf ihren Nutzen für die Ernährung und in der Medizin‚ hingegen führt der dritte geradewegs in das weite Feld der kulturellen Bedeutung der Linde hinein.
Um es vorab zu klären: Der Name Linde hat etymologisch nicht direkt mit lind‚ Lindheit oder Mildheit zu tun. Die eigentliche Wurzel des Namens scheint dunkel‚ wohl wird aber ein Bezug zu lind angenommen‚ einem älteren Ausdruck für Band oder Bast und den Schild. Eine direkte Entsprechung zu diesem Etymon findet sich in den slawischen Sprachen. Auch hier klingt die Verwendung des Lindenbasts an. Althochdeutsch lind oder lint (altnordisch linnr) bezeichnet die Schlange‚ und hierher gehört der Lindwurm‚ dessen sprachliche Wurzeln daher nicht mit denen der Linde zu tun haben.^1
Die Beliebtheit der Linde im Volksleben‚ wo Spiel und Tanz unter der Linde als Festmittelpunkt im Dorfleben unzertrennbar verbunden waren‚ aber auch ihre Rolle in der germanischen Zeit als Thingbaum führte zu einem reichen Niederschlag in Literatur und Poesie. Klopstock stellte später die allgemeine Bedeutung der Eiche über die der Linde‚ was jedoch nicht gerechtfertigt ist. Ein Blick in die Wappenkunde mag den Unterschied zwischen diesen beiden Charakterbäumen erhellen. Fast alle Bäume fanden Eingang in die Wappenbildung. Die Linde als Lieblingsbaum des Volks stellt mithin die älteste und sinnträchtigste Schildfigur dar. Die herzförmigen Blätter eignen sich ideal für die heraldisch geforderte Schlichtheit der Darstellung. Das Lindenblatt‚ das sich in vielen Stadt- und Familienwappen wiederfindet‚ war das Zeichen des freien Grundbesitzers‚ während die Eichel den besitzlosen Stand des Knechtes anzeigte.^2 Allerdings vertritt die Eiche als Symbol Kraft und Männlichkeit‚ Beständigkeit in Tat und im Kampf und Eichenlaub wurde zum Symbol des Sieges.
Zu den vielen im Volke lebendigen Vorstellungen dieses den germanischen und slawischen Stämmen gleichermaßen heiligen Baumes gehört der Schutz vor bösen Geistern‚ das Fesseln böser Geister mit Lindenbast‚ die vielfachen Anwendungen von Lindenprodukten wie Lindenblütenwasser als Heilmittel‚ sowie viele weitere Sitten und Gebräuche‚ ja auch einige Sprichwörter. Wichtig war die Linde seit alters her insbesondere als Gemarkungs- oder Grenzbaum. Dauerhaftigkeit‚ Unempfindlichkeit gegen Fäulnis und Sturmresistenz mögen hier die ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Bekannt geworden und mit Namen versehen sind einige herausragende Linden-Exemplare‚ welche durch ihr Alter und ihre enorme Größe‚ aber auch durch ihren historischen oder mythologischen Wert sich beim Volk eingeprägt haben‚ so z.B. die Katharinenlinde auf der Rüdener Heide (Württemberg)‚ die der Sage nach mit dem Märtyrertum der hl. Katharina in Verbindung gebracht wird. Dieser Baum fiel leider einem Sturm im Jahre 1878 zum Opfer. Linden im Schloßhof gehörten jahrhundertelang zum Bild der Ritterburg. Fehmlinden als Rechtsorte‚ oft mit Brunnen in unmittelbarer Nähe‚ sind auf alten Thingstätten vielfach bezeugt. Sie dienten dem Vollzug von Trauungen‚ der Besiegelung von Verträgen aller Art und dem Gericht. Das Pflanzen einer Linde begleitete oft auch geschichtlich wichtige Ereignisse‚ so die Hörscheler Linde bei Eisenach‚ die 1532 zum Andenken an die Übergabe der Augsburger Konfession gepflanzt wurde‚ aber auch die Merwigslinde bei Nordhausen. Manche Linden-Individuen galten auch einzelnen Dichtern‚ wie die Uhlandlinde in Stuttgart oder die Goethelinde in Weimar.^3
Neidhardt von Reuental (»der von Riuwenthal«)‚ der im späten 12. Jahrhundert in der Landshuter Gegend geboren wurde‚ gilt gemeinhin als der Begründer der höfischen Dorfpoesie‚ in welcher das Bauerntum in den Minnesang Eingang fand. In seinen Sommer- und Winterliedern‚ die oft von tanzlustigen Mädchen und ablehnenden Müttern handeln‚ stellt er die ländliche maget‚ nicht die höfische frouwe als Partnerin des Dichters selbst vor. Ohne die Frage nach der genauen Autorschaft Neidhardts oder der Pseudo-Neidhardte zu berühren‚ seien hier einige Beispiele aus seinen Liedern gegeben. In einem schönen Vers in den Sommerliedern heißt es (I‚ 10): »Wol dan mit mir / zuo der linden‚ trûtgespiel. dâ vinde wir / alles des dîn herze gert.« Und im selben Lied weiter unten heißt es »zuo der grüenen linden mich mîn wille treit. / ende habent mîniu leit.« Die Linde und die Nachtigall gehören ebenfalls eng zusammen. So in einem schönen Sommerlied (I‚7): »Ez meiet hiuwer aber als ê. / von dem touwe! / sprach ein frouwe / springent bluomen unde klê. / diu nahtegal diu singet ûf der linden / ir süezen sanc.« In diesen Zeilen sind zahlreiche Frühlingsmotive (der liebliche Monat Mai‚ der Tau‚ die Blumen und der Klee) vereint. An anderer Stelle (I‚15)‚ ebenfalls im Frühlingsmonat Mai heißt es: »Lop von mangen zungen / der meie hât. / die bluomen sint entsprungen / an manger stat / dâ man î deheine kunde vinden. / geloubet stânt die linden. / sich hebt‚ als ir wol habt vernomen‚ / ein tanz von höfschen kinden.« Hier findet sich eine Figur mit dem Doppelmotiv der Linde und dem Tanz. Weitere Erwähnungen der wohlbelaubten Linde finden sich zahlreich (I‚20): »diu linde ist wohl bevangen / mit loube. / dar under tanzent vrouwen.« Interessant und der Übersetzung bedürftig ist folgende Strophe (I‚25): »Der linden welnt ir tolden / niuwer loube rîchen.« Mit tolden ist der Wipfel der Linde gemeint‚ die Fülle des Laubes der Lindenkrone wird angesprochen. Und an anderer Stelle wird der Habitus des Baumes gepriesen (I‚18): »Nû íst wol breít der línden ir ást. / diu wás des lóubes híuwer ein gást: / nû ist sî wol behangen / mit sûberlîcher wât. / shouwet wie sî stât.« (sûberlîch wât meint ein hübsches Gewand). Und schließlich in Verbindung mit zarteren Gefühlen (I‚28): »Sô hebet / sich aber an der strâze vreude von den kinden. / wir suln den sumer kiesen bî der linden. / diu ist niuwes loubes rîch‚ / gar wunneclîch / ir tolden.« Und‚ was den späteren Erscheinungen der Linde in der Literatur meist fehlt‚ nämlich der Bezug auf den Winter‚ besingt Neidhardt in einem der Winterlieder (II‚42): »Ûf der linden liget meil. / dâ von ist der walt des loubes âne / und diu nahtegal ir herze twinget.« Die Verfärbung des Laubes verweist auf die kommende Jahreszeit; meil ist eigentlich der Fleck‚ des loubes âne –- ohne Laub steht der Wald da und die Nachtigall ist bedrückt. Und weiter heißt es (II‚62): »Die bluomen und daz grüene gras / beidiu sint verswunden. / nû treit uns aber diu linde vür die sunne nindert schat.« Auch die schattenspendende Eigenschaft des Baumes ist vergangen.
Berühmt und vielfach wiedergegeben in neuerer Zeit ist das schöne Lindenlied des Walther von der Vogelweide: »Under der linden / an der heide‚ / dâ unser zweier bette was‚ / dâ mugent ir vinden / schône beide / gebrochen bluomen unde gras./ vor dem walde in einem tal‚ / tandaradei‚ / schône sanc diu nahtegal.« Hier finden sich wieder das Naturbild verbunden mit dem Nachtigallenschlag als Eingangstopos zu den folgenden Strophen‚ welche die Liebesbegegnung schildern: »Ich kam gegangen / zuo der ouwe‚ / dô was mîn friedel komen ê. / dâ wart ich enpfangen‚ / –- hêre frouwe! –- / daz ich bin sælic iemer mê. / er kuste mich wol tûsent stunt‚ / tandaradei‚ / seht wie rôt mir ist der munt.« Ein weiteres‚ noch stärker romantische Assoziationen vorwegnehmendes Gedicht heißt Traumglück: »Dô der sumer komen was / und die bluomen durch daz gras / wünneclîch entsprungen‚ / und die vogel sungen‚ / dô kam ich gegangen / ûf einen anger langen‚ / dâ ein küeler brunne entsprang‚ / durch den anger was sîn gang‚ / dâ diu nahtigal wol sang.« Die Eingangsstrophe evoziert eine Bilderkette positiver Assoziationen‚ auch die singende Nachtigall darf nicht fehlen. Und zunächst bleibt es bei dieser Idylle: »Ûf dem anger stount ein boum‚ / dâ getroumte mir ein troum: / ich was zuo dem brunnen / gegangen von der sunnen‚ / daz diu linde mære / mir dâ schaten bære. / dô ich dâ gesezzen was‚ / mîner sorge ich gar vergaz‚ / vil schiere entslief ich umbe daz.« Der Traum‚ im Schatten des Baumes geträumt‚ überhöht die Realität und verweist so auf eine Sphäre‚ die später in der Romantik zum zentralen Topos wird. Doch später mischt sich die Bitternis in dieses Idyll‚ wenn in den dann folgenden Strophen sich die Traumwelt als Trugbild erweist.
Der Tod Siegfrieds an der Quelle oder am Brunnen bei der Linde im Wald‚ an die er sich zur Rast von der Jagd lehnt‚ wie er z.B. bei Uhland beschrieben wird (Lied der NiebelungeSiegfrieds Tod)‚ stellt ein düsteres Motiv der Sagenliteratur dar. Die Verquickung mit der Linde läßt gleich zweierlei Bezüge erkennen: Zum einen ist da Siegfrieds einzige verwundbare Stelle‚ welche auf das während des Bades im Drachenblut haftengebliebene Lindenblatt zurückgeht‚ zum andern kann diese Szene von ihrem Gehalt her eigentlich nur unter dem Thingbaum‚ der Linde‚ stattfinden. Denn hier ist der Ort‚ an dem normalerweise Recht gesprochen und gehalten wird‚ daher wirkt die ruchlose Tat Hagens hier wie ein besonderer Frevel. In Ludwig Tiecks Gedicht Siegfried der Drachentöter von 1804 finden sich gleich drei Erwähnungen der Linde: »Um auszuruhn verdrossen‚ / Die Arbeit tat ihm leid‚ / Eine Lind breit und große / Gab ihren Schatten weit‚ / Darauf sungen viel Vögelein‚ / Darunter ging der Bach […]«‚ dann heißt es weiter unten: »[…] Und widerstreitend liebliche / Sang manche Nachtigall. / Da dünkt dem jungen Helden‚ / Er sei im süßen Traum‚ / Sinnend saß er und denkend / Am grünen Lindenbaum.« Und endlich in der letzten Strophe: »Fiel doch unwissend seiner / Ein Blatt ab von der Lind‚ / Ihm zwischen weiße Schultern‚ / Daran starb Siegmunds Kind.« Die Linde als Ort der Ruhe‚ dann als Hort des Traums und schließlich das verderbenbringende Lindenblatt.
Vielfach sind die poetisch-naturbildhaften Bezüge zur Linde‚ je weiter man die zunehmend romantisch geprägte Dichtung betrachtet. Bei Ludwig Tieck fügt sich die Aufzählung diverser Naturbilder zu einem lyrischen Idyll: »Frühlingslüfte‚ / Blumendüfte‚ / Schweben über Tal und Feld. / Regenbogen‚ / Purpurwogen‚ / Malen sich am Himmelszelt. / Flüstre‚ Linde! / Leise Winde / Beben durch dein grünes Laub. / Säuselt‚ Winde‚ / Blühe‚ Linde! / Blüten sind des Windes Raub.« In diesem nachgelassenen Gedicht (entstanden 1790)‚ in dem die Bilder alsbald durch die rieselnde Quelle‚ Bächlein und Vögel aufs romantischste erweitert werden‚ taucht bald das lyrische Liebesobjekt auf. Das Sehnende und Suchende kommt in dem Gedicht Ungewisse Hoffnung von 1797 zum Ausdruck: »Suchen werd' ich: werd' ich finden? / Nach der Ferne Ferne‚ / Treibt das Herz; durch blühnde Linden / Lächlen dir die Sterne.«
Einen Bezug der Linde zum höfischen Leben findet sich vielfach‚ so wesentlich später bei Uhland in seinem balladenhaften Gedicht aus dem Heldenbuch Die Linde zu Garten (1806)‚ wo gleich im Eingangsvers der für die damalige Zeit typische Burgplatz beschrieben wird: »Wohl vor der Burg zu Garten / Stund eine Linde grün.« Und den Hintergrund zu Otnits Rächer bildet der unter der Zauberlinde in Schlaf versunkene Kaiser Otnit‚ der vom Lindwurm getötet wird. Und einen weiteren fast dämonischen Aspekt läßt Uhland wiederbeleben in seinem Gedicht Die Zauberlinde (1805): »Sang von der Linde grün / Manch Vögelein so klagevoll‚ / Des Weges kam und lauschte wohl / Die zarte Pilgerin.« Neu ist in diesem Kontext der klagende Gesang der Vögel‚ die vom kommenden Unheil singen. Hier unter der Zauberlinde‚ wo sich die Pilgerin hinlegt‚ verfällt sie untentrinnbar dem Knaben. Dagegen findet sich im Gedicht Die Zufriedenen (1808) eine unspektakuläre Ausmalung eines Gefühls‚ dennoch mit Hinweis auf den Lindentopos: »Ich saß bei jener Linde / Mit meinem trauten Kinde‚ / Wir saßen Hand in Hand. / Kein Blättchen rauscht' im Winde‚ / Die Sonne schien gelinde / Herab aufs stille Land.«
In schönste romantische Bilder des Waldes und der Gefilde getaucht erscheint die Linde bei Joseph von Eichendorff‚ z.B. in der Frühlingsdämmerung: »[…]In der stillen Pracht‚ / In allen frischen Büschen und Bäumen / Flüstert's wie Träumen / […] Nun wiegen und neigen in ahnendem Schweigen / Sich alle so eigen / Mit Ähren und Zweigen‚ / Erzählen's den Winden‚ / Die durch die blühenden Linden / Vorüber den grasenden Rehen / Säuselnd über die Seen gehen […].« In Der Kranke mischt sich die Gefühlslage eines Kranken in die Naturbilder: »Vor dem Fenster durch die Linden / Spielt es wie ein linder Gruß‚ / Lüfte‚ wollt ihr mir verkünden‚ / Daß ich bald hinunter muß?« Und eine weiter gesteigerte Gefühlslage findet ihren Ausdruck in Bei einer Linde: »Seh' ich dich wieder‚ du geliebter Baum‚ / In dessen junge Triebe / Ich einst in jenes Frühlings schönstem Traum / Den Namen schnitt von meiner ersten Liebe? / Wie anders ist seitdem der Äste Bug‚ / Verwachsen und verschwunden / Im härtren Stamm der vielgeliebte Zug‚ / Wie ihre Liebe und die schönen Stunden! / Auch ich seitdem wuchs stille fort wie du‚ / Und nichts an mir wollt' weilen‚ / Doch meine Wunde wuchs –- und wuchs nicht zu / Und wird wohl niemals mehr hinieden heilen.«
Reiche literarische Erwähnung findet die Linde bei Clemens Brentano. In Die Blumen an Sie (1834) findet sich zunächst folgender Eingangsvers dieses religiös gefärbten Gedichtes: »Als Sonnenfeuer sprühte / Und heiß der Sommer glühte / Und süß die Linde blühte / Und lieb die Turtel girrte / Und licht der Glühwurm schwirrte / Sprach sterbend zu der Mirte / Das letzte Licht der Lilie […]« und weiter unten »Den letzten Kranz zu winden‚ / Zu Füßen einer Linden […]«. Der religiöse Erlösungstopos wird dann schließlich deutlich angesprochen. Aus dem gleichen Jahr weitere Gedichte mit Erwähnung der Linde: »Die Abendwinde wehen‚ / Ich muß zur Linde gehen‚ / Muß einsam weinend stehen‚ / Es kommt kein Sternenschein; / Die kleinen Vöglein sehen / Betrübt zu mir und flehen‚ / Und wenn sie schlafen gehen‚ / Dann wein' ich ganz allein!« Und im Nachtrag zum Weihnachtsliede findet sich ebenfalls ein kummervoller Vers: »Das Mägdlein gieng zur Linde / Und seufzte gar betrübt: / Was schenk' ich nur dem Kinde‚ / Das mich so treu geliebt? / Da schwebte her zur Linde / Ein Engel lieb und rein / Und Arme‚ Kranke‚ Blinde‚ / Die zogen hinterdrein.« Und in einem Gedicht von 1835‚ wie Brentano schreibt nach großem Leid finden sich folgende Strophen: »Sieh dorten um die süße Linde / Steht eine reine Lilienschar‚ / Der Engel zeigte sie dem Kinde‚ / Sie leuchteten ganz wunderbar.« Und im gleichen Ton geht es weiter‚ wiederum spielt der Traumzustand unter der Linde eine große Rolle: »So sprach der Engel zu dem Kinde / Und führt es zu der Lilie Licht‚ / Da kniet es nieder an der Linde / Und fand im Traum die Worte nicht.« Ebenfalls in das Jahr 1835 fällt folgender Vers: »Treu‚ dunkellaubige Linde‚ / Wenn rings die Windsbraut tobt‚ / Dein Säuseln lieblich linde / Den Frieden Gottes lobt. / Treu‚ dunkellaubige Linde‚ / Wie fährt all Gut und Blut / Fort‚ fort im Sturm geschwind‚ / Nur du hegst festen Mut‚ / Treu‚ dunkellaubige Linde‚ / Wie bist du stark und gut‚ / Wohl dem‚ der mit dem Kinde / Bei dir im Hüglein ruht.«
Eine reiche Quelle an Lindenbildern bietet naturgemäß das Volkslied. Eine der bekanntesten Liedersammlungen stellt Des Knaben Wunderhorn dar‚ eine durch Achim von Arnim und Brentano zusammengetragene Sammlung von Liedern‚ die während mehrerer Jahrhunderte entstanden. Vielfache Belege für die Linde finden sich‚ so z. B. das Eingangsbild zum Gedicht Liebesprobe aus dem ersten Band der Sammlung: »Es sah eine Linde ins tiefe Thal‚ / War unten breit und oben schmal‚ / Worunter zwey Verliebte saßen‚ / Vor Lieb' ihr Leid vergaßen.« Und in einer verniedlichenden Form‚ im dritten Band finden sich folgende Verse: »Es steht ein Lindlein in diesem Thal‚ / Ach Gott‚ was tut sie da? / Sie will mir helfen trauren‚ / Daß ich kein Buhlen hab. / So traur‚ du feines Lindelein‚ / Und traur das Jahr allein! / Hat mir ein braunes Maidlein verheißen‚ / Sie wöll mein eigen sein. / Ich kam wohl in ein Gärtelein‚ / Darinnen ich entschlief; / Mir traumet also süße‚ / Wie mein feins Lieb gegen mir lief.« Und wie schon vielfach erwähnt‚ ein Gedichteingang mit Linde und Nachtigall im Lied Erprobte Treue: »Es steht ein Lindlein in jenem Thal‚ / Ist oben breit und unten schmal; / Drauf da sitzt Frau Nachtigall / Das kleine Waldvögelein vor dem Wald.« Selbstverständlich sind diese Hinweise nur als Anregung zu verstehen‚ sich mit dem äußerst reichen Liedgut‚ das in vielfältiger Form tradiert ist‚ einmal wieder zu beschäftigen.
Das bekannteste deutsche Linden-Gedicht ist der Lindenbaum von Wilhelm Müller‚ das Franz Schubert in seiner Winterreise vertont hat: »Am Brunnen vor dem Tore / Da steht ein Lindenbaum.« Hier wieder der starke Bezug zu Brunnen und Quelle auf der einen‚ zu Liebe und Liebesleid auf der anderen Seite. Das Rauschen des Lindenlaubes meint der Wanderer auch in großer Ferne immer noch zu hören‚ es gemahnt ihn an den Verlust und verheißt ihm die Ruhe des Grabes. Linden waren auch auf Friedhöfen sehr beliebt. Der Baum der Minne‚ des Tanzes und der Liebesbotschaft‚ ist auch der Baum der Wiedervereinigung mit dem Ewigen.
Ein Anklang an die Linde als Hüterin des Tanzplatzes findet sich bei Theodor Storm in den neuen Fiedelliedern: »Am Markte bei der Kirchen / Da steht ein klingend Haus; / Trompet und Geige tönen / Da mannigfalt heraus. / Der Lind'baum vor der Türe / Ist lust'ger Aufenthalt; / Vom Wald die Finken kommen / Und singen‚ daß es schallt.« Hier werden einmal nicht die Nachtigallen angerufen‚ sondern die kaum je zu poetischer Überhöhung Anlaß gebenden Finken. Schließen wir diesen sehr unvollständigen Literatur-Durchgang mit einem Gedicht Heinrich Heines‚ in dem zwar die wohlgefälligen Topoi noch herangezogen werden‚ die Aussage jedoch‚ welche vom Auseinandergehen der Liebenden handelt‚ durch eine ironische Brechung der Bilder unterstrichen wird: »Die Linde blühte‚ die Nachtigall sang‚ / die Sonne lachte mit freundlicher Lust; / Da küßtest du mich‚ und dein Arm mich umschlag‚ / Da preßtest du mich an die schwellende Brust. / Die Blätter fielen‚ der Rabe schrie hohl‚ / Die Sonne grüßte verdrossenen Blicks; / Da sagten wir frostig einander Lebwohl! / Da knicktest du höflich den höflichsten Knicks.«
Die abendländische Naturauffassung‚ die man als ein Ergebnis der Verbindung von jüdischer Schöpfungstheologie mit griechisch-(römischer) Naturauffassung ansehen kann‚ weist den Pflanzen‚ und ganz besonders im germanischen Raum den Bäumen‚ eine zentrale Rolle zu. Die Einbeziehung vormals als heidnisch gedachter Naturerscheinungen und Naturgötter drängt den Aspekt der wilden Natur‚ die zunächst nicht gestaltet wurde und quasi eine res extensa darstellte‚ zurück zugunsten des mehr und mehr kultivierten Raums. Die überdauernden Gewächse (Bäume und Sträucher)‚ deren permanente Gegenwart offensichtlich wird und deren Nutzanwendung dem jährlichen Kreislauf des Säens und Erntens enthoben ist‚ erlaubt eine mythische Anbindung dieser Gewächse an die Volksseele. Die Linde‚ die als Ursymbol eine zentrale Rolle in Mythos‚ Sage‚ Märchen‚ Religion‚ Brauchtum‚ Literatur‚ in Orts- und Flurnamen‚ sowie in der Kunst spielt‚ gehört hierher. Mit dem Aufkommen der Moderne wurde der göttliche Aspekt jedoch mehr und mehr zurückgedrängt und auch der Charakter des paradiesischen ging zunehmend verloren. Primär jedoch ist der Mensch auf die Natur hin gerichtet‚ und nicht umgekehrt. Die Hybris‚ diesen fundamentalen Zusammenhang zu ignorieren‚ leistet sich der moderne Mensch.


1 Julius Pokorny: Der Ursprung der Arthursage. Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien XXXIX (1909) S. 90-120.
2 Gustav Hegi: Illustrierte Flora von Mittel-Europa. Band V‚ 1. Teil‚ S. 441 f. Carl Hanser Verlag München‚ o. Jahreszahl
3 ebd. S. 445


Zum Inhaltsverzeichnis der Zeitschrift